Das klassische Fernsehen ist in der Krise – der ORF auch. Ein Gewirr von Kabel-TV, Handy-TV und IP-TV lässt vom Monopol auf den Übertragungsweg nur wenig über. Information gibt es im Internet, Unterhaltung bieten Spiele- oder Sexindustrie. Wie sich die Anbieter positionieren, wer überleben wird.
So schnell kann es gehen. Es ist erst ein paar Jahre her, da galt der ORF bei Unterhaltung und Information als das Maß aller Dinge. »Medienorgel« wurde die Anstalt ehrfürchtig genannt. Jetzt ist der Staatsfunk so baufällig wie der Betonbunker am Küniglberg selbst. Dass der ORF ein Sanierungsfall ist, drang spätestens um den Jahreswechsel herum ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit. Der ORF darf keine zweite AUA werden! Um das Copyright für diesen Sager gab es fast schon ein Gerangel. Wolfgang Fellner kaperte das griffige Diktum in einer Kolumne, Presse-Chef Michael Fleischhacker und andere Medienbeobachter ebenso. Beim Urheber handelt es sich jedoch um Kanzler Werner Faymann. Dieser variierte seinen Sager schon vor Weihnachten, als er mit ÖIAG-Chef Peter Michaelis ins Gericht ging: »Die Post darf nicht zur AUA werden.« Wie der ORF zukünftig aussehen wird, wird sich in den nächsten Wochen entscheiden. Bis Anfang April haben ORF-General Alexander »Superalex« Wrabetz und seine Mannschaft Zeit für Kurskorrekturen.
Und diese werden heftig ausfallen müssen, wenn der Staatsfunk kurzfristig ein Finanzdebakel und langfristig eine Selbstmarginalisierung verhindern will. Die Lunte brennt an allen Ecken und Enden. Dass sich das Minus der Küniglberger – trotz mehrfacher Gebührenerhöhung in den letzten Jahren – in der Region von etwa 100 Millionen Euro bewegt, ist bitter. Wirklich dramatisch sind jedoch die strukturellen Defizite, die für die Zukunft Böses ahnen lassen. Im Vergleich hängt das Wohl und Wehe des ORF beispielsweise überproportional von den Werbeeinnahmen ab. Während die Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland damit lediglich knapp ein Zehntel ihres Gesamtbudgets decken, ist es in Österreich rund ein Drittel. Aber diese Einnahmen, bis vor wenigen Jahren so etwas wie eine Lizenz zum Gelddrucken, sinken beständig. Selbst ehemalige Flaggschiffe wie etwa die Senderkette Pro7 verordnen sich gezwungenermaßen eine radikale Kostendiät, um diesem Phänomen zu trotzen.
So kann man kein Unternehmen führen
Auch das Bezahlfernsehen bleibt von diesen Entwicklungen nicht verschont. Der Medienmogul Rupert Murdoch musste sein Engagement bei Premiere erst letztes Jahr intensivieren, um die Kreditlinien des Pay-TV-Senders nicht platzen zu lassen. Und der ORF? Während die deutschen Schwestern ARD und ZDF sich seit »ewig« gegen die private Konkurrenz behaupten müssen, hat man in Wien die Entwicklungen ein bisschen verträumt. Die Privaten erreichen via Sat mit ihren
Werbefenstern potenziell vier Fünftel der heimischen TV-Konsumenten und drücken die Preise in einem ohnehin schrumpfenden Markt noch weiter nach unten. Gleichzeitig verharrt die Kostenstruktur des ORF im Pleistozän der großkoalitionären 90er-Jahre. Dass der Rechnungshof im jüngsten Bericht den imposanten und politisch motivierten 35-köpfigen Stiftungsrat geißelt, lockte auch den angeblichen konfliktscheuen Bundeskanzler aus der Reserve. »So kann man kein Unternehmen führen«, ließ Werner Faymann wissen.
Was immer sich ORF-General Wrabetz einfallen lässt, seine Zeit scheint abgelaufen. Medial wurden bereits alle Schleusen geöffnet, um »Superalex« endgültig zu demontieren. Die Printmedien feuern aus allen Rohren. Keine Frage, Wrabetz hat seine großmäulig angekündigte »größte Programmreform aller Zeiten« kräftig verbockt. Warum er den ORF-internen Selbstversorgungsgemeinschaften nicht einen Riegel vorgeschoben hat, wird sein Geheimnis bleiben.
Der Boulevard hat zu Recht gegeißelt, dass in Formaten wie dem grandios gescheiterten »Mitten im 8en« maßgeblich ORF-Größen und deren Kids beschäftigt wurden. Mit etwas mehr Mühe wären da noch mehr Akteure heraus gepurzelt. Ein Hauptproblem ist freilich auch die fröhliche Vermischung zwischen öffentlich-rechtlichem Auftrag und einer reinen Abspielstation für lupenreinen TV-Mist. Als ob das klassische TV noch nicht altvaterisch genug wäre, lässt der ORF außerfamiliäre Frische vermissen.
Alte Tante TV
Höchst staatstragend wird da etwa Tage später, im Gegensatz zu konservativen Medien und komplett anders lautenden Studien, behauptet, dass es sich bei dem Gewaltausbruch der griechischen Jugend lediglich um ein paar »Anarchisten« gehandelt habe. Ohne gesteinigt zu werden, darf auch der Russland-Korrespondent gleich zu Beginn
der »Gaskrise« in der »ZiB« eine erstaunliche »Analyse« abliefern, die in vier Worten alles klar macht: »Das Problem ist Russland.« Die Probleme liegen jedoch an allen Fronten tiefer. Für Unterschichten-TV der Marke Barbara Karlich & Co braucht es keinen ORF – das können die Privaten noch wesentlich besser und ungenierter. Mit Landeshäuptlings-
TV ist auch kein Staat mehr zu machen. Was kann schon schlimmer sein, als mit anzusehen, wie Erwin Pröll seinen 567.
Kindergarten eröffnet? Wahrscheinlich nur mehr die Wiener Sozialdemokratin Gretl Laska, die auch etwas Positives über sich sagen darf. Die Verantwortlichen agieren, als ob es kein Morgen gäbe. Dabei ist »Morgen« schon gestern angebrochen. Alleine die TV-Distributionswege ändert sich schneller, als man schauen kann. Die Mediennutzung
ebenso.
Im Bereich Unterhaltung dürften die Umsätze der Spielehersteller bald die Umsätze von Film- und TV-Geschäft übertreffen. Das Sex-Geschäft ist sowieso ein eigenes und einträgliches Kapitel, das fast allen Krisen trotzt.
Dass dann noch Kabel- und Handy-Provider beständig die Geschwindigkeitsschraube drehen, um auch ihren digitalen TV-Diensten Flügel zu verleihen, macht die Situation für den ORF nicht gerade entspannter. Vor allem im Bereich Handy- und IP-TV bricht über den ORF eine neue Konkurrenzflut ein. Dass dann Mini-Sender wie ATV noch zeigen,
dass »Seitenblicke« oder Wahlkampfkonfrontationen nicht unbedingt in faden und rituellen Formalismen erstarren müssen, tut ein Übriges. Wenn es wirklich tief wird, kann der ORF nicht mehr so recht punkten. Wie der Spiegel ätzte, bevölkerten nur »Alte, Kranke und Österreicher« die Neuauflage des Dschungelcamps von RTL. Die bittere Pille: Zuerst pushte der ORF Mausi & Co zur »Prominenz«. Jetzt darf er zusehen, wie das fragwürdige Kapital anderswo versilbert
wird.
Beinharter Kampf um Geld- und Zeitbudgets
Die Medien- und Unterhaltungslandschaft ist heute ungleich fragmentierter als noch vor ein paar Jahren. Klassisches TV gilt fast schon als alte Tante, die schon einmal deutlich profitabler war als heute. Gleichzeitig ringen Konzerne weltweit um ein Milliardengeschäft.
>> Hollywood: Nach der Krise in den 70ern dominieren die Amerikaner das Filmgeschäft in Kino und TV – Restlverwertung inklusive. Nicht nur die wirtschaftlichen Dimensionen sind gewaltig. Weltweit wird der Jugend ein »American Dream« eingetrichtert, der die Sozialisation bestimmt. US-Film-Präsidenten retten die Welt, das Christkind ist ein von Coca-Cola ersetzter Anachronismus, Moralapostel wettern gegen Kaffee. An guten Tagen sieht man alleine im
ORF gut 30 Mal die US-Flagge.
>> Spiele-Industrie: Die PC-Spiele schwächeln, aber das Konsolengeschäft dominiert das Unterhaltungsbusiness wie nie
zuvor. Die großen Anbieter wie Sony, Microsoft oder Nintendo trotzen vergleichsweise sogar der Wirtschaftskrise. Videospiele erwirtschafteten 2008 einen Rekordumsatz von knapp 50 Milliarden US-Dollar und überflügelten damit die Traumfabrik Hollywood und die Musikindustrie. Tendenz: steigend.
>> IP-TV: Die Digitalisierung hat das Fernsehen voll erreicht – und auch unübersichtlicher gemacht. Auf einem Dutzend Schienen hat der Konsument die Wahl zwischen DVB-T, HDTV, Mobil-TV und einem Dutzend Ablegern. Aber wer
hat schon immer die passende Abspiel-Hardware der den dazugehörigen IP-Provider?
>> Sex-Biz: Gerade dort wo die Moralvorstellungen besonders rigide sind, ist das Porno-Business king-sized. Araber, Südkoreaner, Amerikaner oder Chinesen dominieren die einschlägigen Web-Statistiken. Pro Sekunde verdient
die Pornobranche nach Analysten 2.304 Euro. Als Porno-Produktionshauptstadt der Welt gilt – obwohl die moralinsauren Amis im TV keine Brustwarzen sehen dürfen – Los Angeles.
>> Mobile-TV: Fernsehen immer und überall. Zumindest theoretisch. Im Dickicht der Standards, Anbieter und Inhalte sind die Konsumenten etwas verloren. Dazu kommen Zusatzinhalte wie interaktive Online-Spiele, wo neue Plattformen wie das iPhone punkten. Ein kleiner« iPhone-Spieleentwickler wie Ethan Nichols verdient kolportierterweise auch schon
37.000 Dollar – pro Tag.