Er hängt ein bisschen wie ein Damoklesschwert über der heimischen Bauwirtschaft. Zwar stellt der Fachkräftemangel in Österreich aktuell noch nicht das ganz große Problem dar, halten die derzeitigen Entwicklungen aber an, kann sich das laut Experten ganz schnell ändern. In einigen Bereichen und Regionen suchen die Unternehmen schon jetzt verzweifelt nach Personal.
Marktvolumen, Auftragslage, Preisdruck oder Digitalisierung – das sind die Themen, die die heimische Bauwirtschaft aktuell am meisten beschäftigen. Ein möglicher Facharbeitermangel spielt für die meisten Unternehmen derzeit eine untergeordnete Rolle. Laut einer Studie des Competence Center Bau des internationalen Beratungsunternehmes Mercuri Urval aus dem Vorjahr ist für gerade einmal 26 Prozent der österreichischen Bauunternehmen der Facharbeitermangel ein großes Thema. Für Bernhard Botlik, Leiter des Competence Center Bau Österreich, wähnen sich die heimischen Unternehmen damit allerdings in einer trügerischen Sicherheit. Wie schnell sich dieses Bild drehen kann, zeigen die Beispiele Deutschland und Schweiz, wo die Bauwirtschaft nach dem Aufschwung der letzten Jahre schon jetzt händeringend nach dem passenden Personal sucht. Auch für den neuen Geschäftsführer der Vereinigung Industrieller Bauunternehmungen Österreichs VIBÖ, Matthias Wohlgemuth, ist die Konjunkturentwicklung maßgeblich für die Relevanz des Themas verantwortlich. »Bei einem positiven Konjunkturverlauf werden wir auch hierzulande eine entsprechend größere Anzahl an gut ausgebildeten Fachkräften benötigen.« Botlik ist auch unabhängig von der Konjunkturentwicklung überzeugt, dass Österreich dem Beispiel der Nachbarländern folgen wird. »Uns werden in Zukunft die Spezialisten fehlen.«
In einigen Bereichen und Regionen hat diese Zukunft längst begonnen. »Es gibt Funktionen wie Polier/Polierin, Kalkulant/Kalkulantin und Bauleiter bzw. Bauleiterin, die in Bundesländern wie Oberösterreich, Tirol und Salzburg bereits sehr schwer zu besetzen sind«, berichtet Manfred Rosenauer, Strabag-Unternehmensbereichsleiter für Österreich. Auch bei Lieb Bau beschäftigt man sich seit längerem mit dem Thema Facharbeitermangel. »Nicht nur das Recruiting ist sehr schwierig geworden, auch die Suche nach gut qualifiziertem Fachpersonal«, sagt Doris Enzensberger-Gasser, geschäftsführende Gesellschafterin bei Lieb Bau.
Immer weniger Lehrlinge
Dass die Branche droht, sehenden Auges ins Verderben zu laufen, lässt sich auch gut an der Entwicklung der Lehrlingszahlen ablesen. Laut Statistik der BUAK hat die Zahl der Lehrlinge in der Bauwirtschaft in den letzten Jahren kontinuierlich abgenommen. Wurden im Jahr 2010 österreichweit noch 7.900 Lehrlinge ausgebildet, waren es 2015 nur noch 6.212. Das entspricht einem Rückgang von 21,37 Prozent. Verglichen mit 2008, also vor Beginn der Krise, als in Österreich 8.269 Baulehrlinge ausgebildet wurden, beläuft sich das Minus sogar auf 24,87 Prozent. »Die Beschäftigung von Facharbeitern ist in diesem Zeitraum aber nahezu unverändert geblieben«, berichtet Peter Scherer, Lehrlingsbeauftragter in der Geschäftsstelle Bau. Damit liegt der Anteil der Lehrlinge im Verhältnis zur Anzahl der Facharbeiter unter vier Prozent. Zum Vergleich: Im Handwerk liegt die Lehrlingsquote bei laut Wirtschaftskammer bei 6,9 Prozent. »Bei einer Fortsetzung dieser Entwicklung fehlt der österreichischen Bauwirtschaft mittelfristig der erforderliche Facharbeiternachwuchs«, stellt Scherer fest.
Die Gründe für die rückläufigen Lehrlingszahlen sind vielfältig. Eine Mitschuld trägt die generelle demografische Entwicklung, die, verstärkt durch den Trend zur weiterführenden Schulausbildung, das Potenzial an geeigneten Lehrlingskandidaten immer kleiner werden lässt. Dazu kommt die nach wie vor angespannte konjunkturelle Lage. Außerdem steigen die Anforderungen an die Qualifikation der Lehrlinge und zukünftigen Facharbeiter. »Damit wird es für die Unternehmen immer schwieriger, geeigneten Nachwuchs zu finden, der dann erst mit erheblichen Aufwand und auf eigenes Risiko zu Fachkräften ausgebildet werden muss«, stellt VIBÖ-Geschäftsführer Wohlgemuth fest. Ein weiteres Problem skizziert Doris Enzensberger-Gasser: »Auch nach Lehrabschluss ist es nicht mehr selbstverständlich, dass die jungen Fachkräfte in diesem Beruf bleiben.« Dabei seien in nur wenigen Berufen die Aufstiegschancen so groß wie am Bau, »vom Polier bis zum Bauleiter oder sogar Baumeister«. Sogar zwei aktuelle Landesinnungsmeister haben ihre Karriere mit einer Lehre begonnen.
Investition in die Zukunft
Das Qualifikationsniveau der Mitarbeiter entscheidet heute und in Zukunft maßgeblich über die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. »Im eigenen Betrieb ausgebildete Mitarbeiter sind besser für den individuellen Tätigkeitsbereich qualifiziert und haben üblicherweise eine größere Verbundenheit mit dem Unternehmen«, ist Scherer überzeugt. Für die Unternehmen bedeutet dies, in der Personalentwicklung langfristig zu planen. Viele Unternehmen unterschiedlicher Größe haben die Notwendigkeit erkannt und forcieren die Lehrlingsausbildung.
Die Strabag hat vor sechs Jahren die Strabag-Lehrlingsakademie gegründet. »Dort können unsere Lehrlinge auch im Winter von einem erfahrenen Experten-Team lernen«, so Manfred Rosenauer. Derzeit arbeiten in der Lehrlingsakademie in Linz zwölf Lehrlingsausbilder. »In einer eigens adaptierten Halle wird der neueste Stand der Technik aus dem Hoch- und Verkehrswegebau auf verschiedenen Stationen vermittelt, zum Beispiel Vermessungskunde, Kanal- und Leitungsbau oder Beton- und Schalungsbau. Im Theorie-Unterricht werden Themen wie Arbeitssicherheit sowie Material- und Werkzeugkunde behandelt.« Im Winter 2015/2016 haben 68 Lehrlinge die Akademie besucht. In diesem Jahr wurde erstmals die Pilotakademie für den Bereich Hochbau eingerichtet. Dazu gab es eine eigene Hochbaustation, die von vier erfahrenen Polieren aus Österreich betreut wurde. Im Winter 2016/2017 wird durch diese Erweiterung die Gesamtzahl der Lehrlinge, die die Akademie besuchen, somit deutlich ansteigen.
Auch im KMU-Bereich gibt es Unternehmen, die sich in vorbildlicher Weise um die Nachwuchspflege bemühen. So verfügen etwa die steirische Herbitschek GmbH oder die oberösterreichische WimbergerHaus wie die Strabag über eine unternehmensinterne Lehrlingsakademie (siehe Kasten). Bei der Tiroler Rieder Bau kümmern sich gleich drei Personen um die Lehrlingsausbildung. Das Ergebnis ist eine stolze Lehrlingsquote von 10,77 Prozent. Und die niederösterreichische Franz Schütz Bau (Quote 9,23 %) arbeitet eng mit der Lehrlingsexpertin Petra Pinker zusammen und legt neben der fachlichen Ausbildung auch großen Wert auf die Entwicklung von Soft Skills.
Die Strabag beackert zudem ein in der Branche noch weitgehend brachliegendes Reservoir an potenziellen Fachkräften. »Die Demografie erfordert es, dass wir den Anteil unserer weiblichen Mitarbeiter systematisch steigern«, sagte Konzern-Chef Thomas Birtel kürzlich in einem Interview mit Report(+)PLUS. Die Strabag setzt deshalb auf gezieltes Marketing, Vereinbarkeit von Karriere und Familie sowie Frauen-Karriereförderung, um den weltweiten Frauenanteil im Konzern Jahr für Jahr zu steigern. Dabei geht es auch darum, Frauen langfristig im Unternehmen zu halten. »Ein Baustein, den wir jetzt systematisch entwickeln, ist das Karenzmanagement. Wir wollen uns um jene Mitarbeiter kümmern, die die Karenz in Anspruch nehmen, damit wir die Rückkehrerquote signifikant steigern.«
Lehrlingsentwicklung in der Bauwirtschaft 2010–2015
Jahr Lehrlinge Veränderung in % ggü. 2010
2010 7900
2011 7794 -1,34 %
2012 7476 -5,37 %
2013 6980 -11,65 %
2014 6588 -16,61 %
2015 6212 -21,37 %
Aktueller Facharbeitermangel (Auswahl)
Beruf Arbeitslose Offene Stellen Andrang
Techniker/innen mit höherer Ausbildung (Ing.) f. Maschinenbau 233 393 0,6
Fräser/innen 93 143 0,7
Dachdecker/innen 91 121 0,8
Betonbauer/innen 108 142 0,8
Dreher/innen 397 517 0,8
Schwarzdecker/innen 19 24 0,8
Zimmerer/innen 449 395 1,1
Diplomingenieur(e)innen für Maschinenbau 131 105 1,2
Erklärung: Einen Fachkräftemangel gibt es laut Definition der Sozialpartner in einem Beruf dann, wenn der Stellenandrang, d.h. das Verhältnis der freien Stellen zu den Arbeitsuchenden pro Beruf 1:1,5 oder weniger ist.