Unternehmen in Industrie und Gewerbe stehen vor Riesenherausforderungen. SAP verspricht ein Tool-Set zu deren Bewältigung.
Raschere, effizientere und smartere Geschäftsprozesse, innovative Anwendungen und mehr Benutzerfreundlichkeit – Unternehmen, die auf SAPs neue Generation der »Business Suite« setzen wollen, haben gute Gründe dafür. Es ist der Schritt des deutschen Softwareriesen, an dessen Produkte kaum ein Unternehmen aus Industrie und Gewerbe vorbeikommt, in die Cloud. Die Software ist zu einer Grundlage für das Bestehen in einer sich unaufhörlich verändernden Welt mit volatilen Märkten geworden.
Erstmals vorgestellt wurde S/4HANA im Jahr 2015. Wie ist die Marktsituation bei der Umstellung in Österreich? Offizielle Zahlen gibt SAP nicht heraus. Was man sagen kann: Österreich ist gegenüber dem Gesamtmarkt ein bisschen hinterher. Wie bei jeder Umstellung hat es First Mover gegeben – in Österreich sogar im öffentlichen Bereich – und jene, die sich Zeit lassen. »Ich teile die Meinung nicht, das Beste zu bekommen, wenn man möglichst spät auf den Zug aufspringt«, sagt Markus Hauswirth von Capgemini Österreich. »S/4HANA entwickelt sich rasant, jedes Release hat weitere neue Features. Je später ich damit anfange, desto mehr Stufen muss ich mit einem Mal erklimmen«, warnt der SAP-Experte.
Einer Untersuchung bei den österreichischen Mitgliedsunternehmen der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG) zufolge legen die SAP-Kunden bei ihrer Investitionsbereitschaft weiter zu – auch in Sachen S/4HANA. Trotzdem halten sich die Unternehmen bei Cloud-Betriebsmodellen im SAP-Universum noch immer zurück. »RISE with SAP«, das Managed-Cloud-Angebot für die sichere Migration von »On Premise«- Systemen auf flexiblere IT-Infrastrukturen, legt ebenfalls nur verhalten zu. Dafür nimmt generell die Digitalisierung in Österreich deutlich Fahrt auf und auch das Thema künstliche Intelligenz gewinnt an Bedeutung.
Der X-Faktor
Künftig ebenfalls ein Riesenthema in der Wirtschaft werden branchenbezogene Datenökosysteme sein, in denen unterschiedlichste Akteure Daten und Applikationen handeln und sicher austauschen. Auch SAP baut auf diese neue Ebene einer IT-Wirtschaft. Gemeinsam mit Siemens baut man an »Factory-X«. »Als Interessenvertretung von mittelständischen Unternehmen bis zu ATX-Konzernen begrüßen wir die Initiative, ein offenes und kollaboratives Datenökosystem für Fabrikausrüster und -betreiber zu schaffen«, betont DSAG-Österreichsprecher Walter Schinnerer. Sein Argument: Die Vernetzung von Industrien und Wertschöpfungsketten nimmt kontinuierlich zu.
Bild: »Unternehmen sind auf enorme Datenmengen angewiesen«, beobachtet Walter Schinnerer, Fachvorstand Österreich bei der DSAG.
Auch wachsende gesetzliche Anforderungen wie das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz oder das Nachhaltigkeitsberichtswesen erfordern, Geschäftsprozesse effizienter und resilienter zu gestalten. »Dafür sind Unternehmen auf enorme Datenmengen angewiesen, deren Beschaffung und Nutzung sie vor Herausforderungen stellt«, so Schinnerer. Factory-X soll hier als eine standardisierte Plattform Abhilfe schaffen. Auch wenn aktuell noch technische und regulatorische Themen geklärt werden müssen – etwa Vertraulichkeitsregelungen und die Weiterverarbeitung von Daten –, könne das Datenökosystem große Chancen bieten. Je mehr sich schlussendlich einbringen, desto größer das Potenzial der digitalen Vernetzung. Der Experte empfiehlt, bereits die aktuelle, frühe Projektphase zu nutzen, um sich mit den eigenen Datenstrukturen auseinanderzusetzen und den Digitalisierungsgrad zu prüfen. Unternehmen sollten »sicherstellen, dass ihre Systeme auf dem neusten Stand sind, damit sie bis zum Go-live der Plattform intern vorbereitet sind.«
In der Praxis
Auch die Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen feierte in diesen Tagen mit dem erfolgreichen Go-live von SAP S/4HANA einen Meilenstein in ihrer Digitalisierungsstrategie. Die Implementierung in den Kernbereichen Finanzwesen, Controlling, Projektmanagement und Business Intelligence konnte innerhalb eines Jahres in enger Zusammenarbeit mit dem Technologiepartner ITSV abgeschlossen werden. »Die Qualität sowie Verfügbarkeit von Daten wird so verbessert und Geschäftsprozesse optimiert. Dies eröffnet neues Potenzial«, sagt SVS-Obmann Peter Lehner. Die Versicherten würden damit von effizienteren, kundenorientierteren Arbeitsweisen und im Zuge dessen von einer verbesserten Servicequalität profitieren.
Bereits für »RISE with SAP« entschieden hat sich RHI Magnesita, um seine Technologieinfrastruktur für kontinuierliches Wachstum in der Feuerfestindustrie neu aufzubauen und zu optimieren. Der Anbieter von Feuerfestprodukten hat 47 zentrale Produktionsstandorte weltweit und benötigt eine technologische Basis für die durchgängige Interaktion mit Kunden, Lieferanten und Geschäftspartnern über alle Regionen, Märkte und Produktlinien hinweg. Mit SAP S/4HANA Cloud verfügt RHI Magnesita nun über eine einheitliche Sicht auf das operative Geschäft und die Lieferkette, was die Infrastrukturanforderungen reduziert und das Unternehmen für eine bessere Integration zukünftiger Akquisitionen bei gleichzeitigen Kosteneinsparungen vorbereitet.
Und die KI?
Auf der jährlichen Kundenkonferenz SAP Sapphire hat der Softwarehersteller Innovationen und Partnerschaften für generative KI vorgestellt. »Die Innovationen für Unternehmens-KI, die wir 2024 auf der SAP Sapphire bekanntgeben, werden die Abwicklung von Geschäftsprozessen neu definieren«, sagt Christian Klein, CEO und Mitglied des Vorstands der SAP SE. Dies umfasst zum Beispiel von KI erzeugte Berichte in SAP-SuccessFactors-Lösungen, die Führungskräften wertvolle Informationen für Gespräche zu Vergütungen bieten. Ein weiteres Beispiel sind Prognosefunktionen in Lösungen von SAP Sales Cloud, die zeigen, mit welchen Kombinationen aus Vertriebsmitarbeitern und Produkten sich der Umsatz am besten steigern lässt. Darüber hinaus kann über den Generative AI Hub in der »SAP Business Technology Platform« nun auf große Sprachmodelle von Amazon Web Services, Meta und Mistral AI zugegriffen werden.
Der SAP-Assistent Joule wird auf das gesamte Lösungsportfolio des Unternehmens ausgeweitet. Joule basiert auf generativer KI, ordnet schnell Daten aus unterschiedlichen Systemen und setzt sie in einen Kontext, um die Automatisierung zu beschleunigen und die Entscheidungsfindung zu verbessern. Joule wurde im Herbst letzten Jahres in den SAP-SuccessFactors-Lösungen eingeführt und ist nun in Lösungen von SAP S/4HANA Cloud und unter anderem in SAP Build und der SAP Integration Suite eingebettet. Bis Ende des Jahres wird der Assistent auch in den Lösungen SAP Ariba und SAP Analytics Cloud zur Verfügung stehen.
Interview mit Markus Hauswirth hat den SAP-Practice Lead bei Capgemini in Österreich
Klar und sauber - Wie die neue Softwaregeneration von SAP die Flexibilität und Resilienz stärkt.
Welche Frage sollten sich Unternehmen bei einer Umstellung auf S/4HANA stellen?
Markus Hauswirth: Unabhängig vom Brownfield-, Greenfield-, oder Bluefield-Ansatz – man sollte sich darüber im Klaren sein, was man erreichen möchte. Geht es primär um eine rasche Umstellung, wird man nicht viel am bestehenden System ändern. Das kann sich monetär im Umstellungsprojekt lohnen, wird sich aber im Nachgang als Kostenfresser entpuppen. Denn die Prozesse und die Art des Arbeitens ändern sich in S4 massiv. So ist zum Beispiel der Bereich Transportation Management in den Systemkern gewandert, dadurch ändern sich Logistik-Prozesse in der SAP-Welt stark.
Und sind zum Beispiel auch Mergers, Acquisitions und Carve-out Teil der Strategie? Mit der Lieferketten-Thematik werden Firmen Reportings über ihre Lieferanten benötigen. Sie brauchen den Einblick und Zugriff auf Daten. Diese Flexibilität brauche ich genauso bei einem Carve-out inmitten eines größeren, mehrere Jahre dauernden SAP-Rollouts international. Die Umsetzungsstrategie muss flexibel bleiben. Das geht nur mit einer klaren Struktur in aufgeräumten Systemen. SAP spricht hier von »Clean Core«. Schaffe ich diesen in meinem Unternehmen, kann ich auf Standardbasis Marktänderungen wie Carve-outs in vier bis zwölf Monaten umsetzen. Das bedeutet: keine Veränderungen direkt im Standard, aber mit unserem GEMS-Ansatz (Anm. »Global ERP-core enabling Manufacturing sites Standardization«) können trotzdem industriebezogene Anpassungen in Korrelation mit dem S/4-System flexibel durchgeführt werden.
Es gibt ein weiteres Argument für die Strategie des Clean Core. Die Releasewechsel werden immer häufiger. Bei Systemen »on premise« gibt es noch einen Fünf-Jahres-Zyklus, Projekte sollten also entsprechend rechtzeitig gestartet werden. In der Public Cloud geschieht der Releasewechsel dagegen viermal jährlich. Je näher ich mit meiner ERP-Architektur am Standard bin, desto leichter sind Tests und eine effiziente Testautomatisierung möglich. Das ist für alle Firmen essenziell, die rasch auf Veränderungen reagieren und schnell ihr Marketing und ihr Produkt am Markt anpassen müssen.
Wie unterstützen Sie hierbei Unternehmen?
Hauswirth: Wir unterstützen bei der Planung der Umstellung und der Durchführung. Mit unserem »Application Development Management« sind wir ein Partner für die IT-Abteilungen in der Softwareentwicklung, beispielsweise beim Fixen von Bugs. Die Kunden können sich so auf die strategische Entwicklung konzentrieren und müssen sich nicht mehr um den »Run« kümmern. Mit dem Support durch Capgemini bekommen Unternehmen auch in Zeiten des Fachkräftemangels ein Team, das ihre Systeme kennt und wertvolle Unterstützung liefern kann. Wir beschränken das auch nicht auf SAP, sondern sehen Application Development über die gesamte IT-Landschaft hinweg. Auch das Testen von Software ist ein Prozess, der über einzelne Applikationen hinausgeht (»End-to-end«). Vom Ressourcenmangel in der Softwareentwicklung sind eigentlich alle betroffen, vom Produktionsbetrieb bis zum Berater. Wir helfen bei der Skalierung von Projekten.
Wie ist die Marktsituation bei der Umstellung auf S/4HANA?
Hauswirth: Offizielle Zahlen gibt SAP nicht heraus. Was man sagen kann: Österreich ist gegenüber dem Gesamtmarkt ein bisschen nachläufig. Auch sind die Unternehmen beispielsweise in die Schweiz mit ihrer S/4HANA-Umstellung schon weiter. Es gibt hierzulande also noch genügend Umstellungen, die vor uns liegen.
Wie bei jeder Umstellung hat es First Mover gegeben – in Österreich sogar im öffentlichen Bereich – und jene, die sich Zeit lassen. Ich teile die Meinung nicht, das Beste zu bekommen, wenn man möglichst spät auf den Zug aufspringt. Denn S/4HANA entwickelt sich rasant, jedes Release hat weitere neue Features. Je später ich damit anfange, desto mehr Stufen muss ich mit einem Mal erklimmen.
Um einen Mehrwert aus den neuen Features und Prozesse zu gewinnen, sollten auch die Mitarbeiter*innen geschult werden. Ich sehe dazu eine Vorbereitungsphase immens wichtig, in der sich die Mitarbeitenden mit S4 beschäftigen. Im Change-Management werden Key-User identifiziert, die sich im Vorfeld bereits mit der neuen Arbeitsoberfläche Fiori und der neuen Architektur – es wird nun in Prozessen gedacht, nicht mehr in Modulen – auseinandersetzen. Diese Wissensträger vermitteln dann wie in einem Schwarm das neue Wissen in der Firma. Change-Management ist ein wichtiger Part bei der Umstellung und es sollte vor dem Projekt beginnen. Viele beginnen erst währenddessen oder danach – das ist zu spät.
Farben der Umstellung
Für die Migration auf die cloudbasierte Businesssoftware SAP S/4HANA sind für Unternehmen mehrere Strategien möglich: Brownfield, Greenfield, Bluefield und Blackfield.
1. Konservativ
Braun: Bei Brownfield werden das bestehende SAP-System und die Prozesse mitsamt den historischen Daten nahezu unverändert transferiert. Diese Strategie mindert den Migrationsaufwand und das Risiko, erfordert aber auch wenig Veränderungsbereitschaft und Innovation in Unternehmen.
2. Radikal
Grün: Der Greenfield-Ansatz ist eine Umstellung, bei der das bestehende System vollständig durch ein neues ersetzt wird. Dabei werden nur die notwendigen Daten migriert und die Geschäftsprozesse von Grund auf neu gestaltet. Allerdings erfordert dieser Ansatz mehr Zeit, Ressourcen und Veränderungsbereitschaft.
3. Mittelweg
Bau/Schwarz: In einer Bluefield-Strategie wird das bestehende SAP-System teilweise übernommen. Es werden nur relevante Daten und Prozesse migriert, die restlichen nach Bedarf angepasst oder optimiert. Das ermöglicht, von den Vorteilen des neuen Systems zu profitieren, ohne das alte komplett aufzugeben. Blackfield verfolgt das gleiche Prinzip, dabei werden mehrere SAP-Mandanten parallel betrieben.