Samstag, Dezember 21, 2024
Blockchain meets Culture – Voraussetzungen für das Gelingen disruptiver Technologien

Unternehmenskultur beschreibt gelebte Werte, Einstellungen und Verhaltensweisen und wird durch die Menschen innerhalb der Organisation geprägt. Was aber, wenn Kultur auf Technologie trifft? Die »Teal Organisation« könnte die Antworten auf die täglichen Herausforderungen von heute liefern. Von Von Maria Kreuzer, Andrej Balukcic und Hannes Lischka

»Culture eats strategy for breakfast.« Spätestens seit Peter Drucker wissen wir, welche Rolle eine in Organisationen geteilte und gelebte Unternehmenskultur hat. Schon Drucker war sich bewusst, dass der Faktor Mensch und die damit zusammenhängende unternehmerische Kultur eine der wichtigsten Komponenten für die erfolgreiche Umsetzung von Strategien ist. Während Strategie die Richtung, den Fokus und die Spielregeln definiert, entscheidet die Kultur, wie das Spiel schlussendlich gespielt wird. Passen Unternehmenskultur und Spirit der handelnden Personen nicht mit dem ausgetüftelten strategischen Plan zusammen, mangelt es oft an Verständnis und Motivation in der Implementierung. Das Resultat ist eine unterdurchschnittliche Performance in der Umsetzung strategischer Pläne. Spätestens dann landen Strategiepapiere in Schubladen oder verstauben in endlos verzweigten Serverstrukturen.

Ein ähnliches Schicksal erleiden strategische Überlegungen zum Einsatz von disruptiven Technologien und deren Implementierung in Organisationen. Typischerweise – hier vereinfacht dargestellt – definieren Projektteams ihre IT-Strategien und überlegen, welche strategischen und operativen Vor- und Nachteile die Ablösung von bestehenden Systemen durch innovative und disruptive Technologien bringen kann. Dass damit auch eine gewisse Kultur, ein Mindset und Veränderungswille verknüpft ist, ist vielen oft nicht bewusst – oder wird schlicht und einfach verdrängt. Spätestens, wenn User wieder auf ihre alten und gewohnten Systeme zurückgreifen und das Neue verweigern, ist klar:
»Culture drinks technology as cocktail!«

Bring mich zum Mond
Einsatz und Erfolg von disruptiven Technologien sind von einer offenen und agilen Unternehmenskultur abhängig, um Bestehendes radikal neu zu denken und zu leben. Nur so können sogenannte »Moonshots« überhaupt gelingen. Der Begriff Moonshot wurde maßgeblich von den Google-Gründern Larry Page und Sergey Brin geprägt und soll Organisationen daran erinnern, Produkte und Services nicht nur inkrementell zu verbessern und somit Gefahr zu laufen, das große Neue aus dem Auge zu verlieren. Demnach könnten Unternehmen so ihren Vorsprung und ihre Attraktivität einbüßen, was für einige auch ein Verschwinden vom Markt bedeutet. Denn jemand anderer arbeitet sicher an der nächsten radikalen Innovation.

Der Moonshot steht symbolisch dafür, groß zu denken und daran zu glauben, dass es möglich ist, die Limits von heute zu durchbrechen. Neben den technischen Voraussetzungen der Zeit ist es besonders notwendig, niemals zu zweifeln, dass dies gelingen wird. Nur so kann radikal Gedachtes zu radikal Erlebbarem werden. In folgendem Gedanken-Experiment fragen wir: Wie würde ein Flug zum Mond aussehen, wenn man die grundlegenden Konzepte der Blockchain berücksichtigt? Dafür klären wir zunächst die wesentlichen Merkmale der Blockchain:

1. Verteilung: Das technische System verteilt sich über sehr viel unterschiedliche Computer. Es gibt Regeln, nach denen, weitere Betreiber jederzeit einsteigen können.

2. Dezentralisierung: Die Steuerung des Systems erfolgt durch mehrere Teilnehmer. Es gibt Regeln, wie Teilnehmer dem System beitreten und was sie steuern können.

3. Unveränderbarkeit: Es gibt einen Mechanismus, durch den sich das dezentrale System auf eine gemeinsame Wahrheit verständigt. Wurde die Wahrheit zu einem Zeitpunkt festgestellt, so wird diese unveränderlich protokolliert.

4. Verschlüsselung: Unter der Verwendung der Mechanismen der Verschlüsselung kann vollkommene Transparenz über die protokollierte Wahrheit gegeben werden.

5. Tokenisierung: Jede Transaktion verursacht beim Auslöser Kosten, die es zu begleichen gilt. Das schafft eine Balance im dezentralisierten System, denn eine Sabotage ist zwar nicht gänzlich ausgeschlossen, jedoch mit enormen Kosten verbunden.

In unserem Gedankenexperiment ist das Flugobjekt keine Rakete, die von der Bodenkontrolle gesteuert wird, sondern vielmehr ein Drohnen-Schwarm. Für jede Drohne gibt es mehrere Fernsteuerungen, hinter denen wiederum mehrere Teilnehmer ihre Steuerungsoperationen in das System füttern. Ein Konsens-Algorithmus wird in wiederkehrenden Zeitintervallen alle Eingaben prüfen, die finalen Lenkungsparameter feststellen und eine gemeinsam-geteilte Wahrheit für das ganze System protokollieren. Das zentrale Erfolgskriterium des Unterfangens ist das Erreichen der gemeinsam gesteckten Ziele. Durch die Kosten pro Transaktion kann es jedem Blockchain-Teilnehmer zweifelsfrei nur ein Anliegen sein, diese Ziele zu erreichen.

Alle Handlungen sind transparent, der Beitrag jedes Teilnehmers ist offengelegt. Das Vertrauen in und die Verantwortung für das System liegen nicht bei einem handelnden Akteur, sondern sind über alle Teilnehmer verteilt. Üblicherweise ist auch die Finanzierung des Systems entsprechend dezentralisiert. Was bedeutet diese Philosophie der Blockchain nun für die kulturellen und systemischen Rahmenbedingungen in Organisationen?

Teal Organisation
Traditionell geführten Unternehmen könnte die eigene Unternehmenskultur zum Verhängnis werden, besonders im Einsatz von Blockchain-basierten Lösungen. »Ablehnung gegenüber der Blockchain ist besonders in der Unternehmenskultur begründet. Im Bankenbereich zum Beispiel wäre die Technologie ausgereift und bietet spannende Anwendungsmöglichkeiten«, heißt es etwa in einem Artikel im Business Insider.

Hierarchische Systeme, starre Strukturen, autokratische Führungsstile und ein veraltetes Mindset sind die größten Veränderungs-Killer und hemmen Fortschritt, nicht nur in Banken. Aber welche kulturellen und systemischen Voraussetzungen braucht Blockchain dann? Hier liefert uns der Organisationsexperte und Begründer der »New Work«-Bewegung Frederic Laloux und seine Idee der »teal organisation« eine spannende Antwort.

Dieser Organisationsform unterliegen drei grundlegenden Prinzipien:

1. Selbstführung: Teilnehmer organisieren sich in einem Peer-to-peer-Netzwerk, in dem es keine hierarchischen Strukturen oder zentrale Steuerungseinheit gibt. Abhängig von Situation und Kompetenz, arbeiten unterschiedliche Personen innerhalb des Netzwerkes mehr oder weniger intensiv zusammen. Verantwortung und Macht ist gleichverteilt. Eine Kultur der Selbstführung erfordert aber Vertrauen zwischen Teilnehmern.

2. Ganzheitlichkeit kommt der Tatsache gerecht, dass Menschen nicht nur die Rolle des homo oeconomicus in der Arbeitswelt einnehmen, sondern wesentlich durch Emotionen, Spiritualität sowie durch ihre vielen anderen Rollen wie zum Beispiel als Mutter, Sportlerin oder IT-Entwicklerin im Handeln geprägt werden. Nur ganzheitlich sind Menschen in ihrem Denken und Handeln am wirkungsvollsten.

3. Evolutionärer Zweck:
Ein höherer Sinn treibt diese Organisationen an.  Zukünftiges Denken und Handeln basiert auf diesem Zweck sowie auf dem Prinzip der Serendipität – das heißt: Zufälliges und Nicht-Geplantes wird als Chance genützt – und auf dem Gespür, was die Organisation will. Ziele werden gemeinsam gesteckt und nicht aufgezwungen.

Laloux’ Gedanken zur »teal organisation« sind nicht ganz neu und basieren auf den Annahmen von biologischen Systemen als auch auf Arbeiten zu »Spiral Dynamics« von Clare W. Graves. Spiral Dynamics beschreibt die kognitive und emotionale Bewusstseinsentwicklungen von Individuen, die daraus resultierten Weltsichten und zu Grunde liegenden Werte. Ähnlich wie bei Graves ist bei Laloux die »teal phase« die momentan am höchsten ausgeprägte Phase der kognitiven und emotionalen Bewusstwerdung bei Individuen und in Organisationen. Dennoch gelingt es noch sehr wenigen Unternehmen, ihr Denken und Handeln diesen Organisationsprinzipien anzupasen. Denn Führungskräfte müssen Verantworten abgeben, Mitarbeiter müssen diese übernehmen. Macht und Verantwortung wird verteilt. Und Emotionen und Spiritualität haben plötzlich Platz im täglichen Arbeiten. Das scheint besonders für modern-leistungsorientierte Organisationskulturen paradox, die nach wie vor den Großteil aller Unternehmen prägen.

Raus aus der Wasser-Falle
Wenn man an einen traditionellen (IT-)Konzern denkt, dann erkennt man noch immer einen sehr starken Einfluss von hierarchischen Systemen, die im Wasserfallmodell stecken: Gigantische Prozesslandkarten suggerieren eine Organisation, die über Arbeitsgruppen und Taskforces auf die digitalen Herausforderungen reagiert. Aber ist dieser Reaktionsmodus mittlerweile zu langsam? Wäre es nicht besser, aktiv die Zukunft zu gestalten?

Technologien wie die Blockchain oder die Cloud sind gute Gradmesser für Organisation generell. Sie sind nicht bloß Technologien, sie sind Programm, Mindset und Philosophie in einem. Oft ist es besser, dreimal achtsam ein- und auszuatmen als ein ITIL-Prozessmodell einzuführen (siehe Kasten, Seite 33). Doch auf dem Weg in Richtung dem Lalouxschen »Teal« liegen einige Herausforderungen für traditionell geführte Konzerne: Selbstorganisation, ganzheitliche Führung und MitarbeiterInnen am Arbeitsplatz glücklich zu machen, steht nur in wenigen Unternehmensvisionen. Im Gegenteil, laut Gallup fühlen sich lediglich 15 % der MitarbeiterInnen ihren Unternehmen verpflichtet. Können diese 15 % die digitale Revolution – und am Ende das Unternehmen zu einem Google, Apple oder Microsoft zu machen – alleine stemmen? Die Antwort ist natürlich »nein«. Doch wie kann die Unternehmenskultur sich der neuen Welt mit ihren neuen Technologien stellen? Mehrere Schritte auf einmal, in einem »Big Bang« zu wagen, ist immer ein Risiko. Dagegen ist eine Kombination aus alten und neuen Methoden wahrscheinlich der erfolgreichere Weg.

Mögliche Lösungen, um die Teal-Potentiale in bisher traditionell geführten Organisationen ans Tageslicht zu bringen, sind:

1. Brücken bauen: Silos an jeder Stelle aufbrechen, Geschäftswelt und IT-Lösungen vereinen, Auftraggeber und sogenannte »captive IT provider« zusammenrücken lassen, den Spalt zwischen Menschen in der Unternehmensführung und dem operativen Geschäft kleiner werden lassen.

2. Es ernst meinen:
Agilität und neues Mindset auf dem Firmenfolder zu proklamieren reicht nicht aus, um agile Denkweisen zu erschaffen. Achtsame Führung, Transparenz und aufeinander Zugehen sind Aktivitäten, um authentisch zu sein.

3. Kommunikation vereinfachen: eine gemeinsame einfache Sprache lebendig werden lassen. Oft sind zentrale Begriffe wie »Prinzip«, »Anwendung« oder »Geschäftsfähigkeit« durch Silodenken überlagert.

4. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile: Unternehmen sind ein System von Menschen und Methoden, daher ist es notwendig, die Menschen auf allen Ebenen mit ins Boot zu holen, ihnen ermöglichen, ein echter Teil des Ganzen zu werden. Das heißt: Es ist notwendig, dass sich die Menschen als Beteiligte empfinden, einen Beitrag leisten und verstehen, warum dieser ein guter ist.

5. Positives Denken vor Konkurrenzdenken stellen: Gelungene Erfolge sind ebenso wichtig wie wirtschaftliche Kennzahlen. (Wie weit in Richtung Vision sind wir schon vs. Team X hat erst 20 % seiner Ziele erreicht.)

6. Achtsamkeit als Basiskonstrukt in die tägliche Kommunikation einfließen lassen. Neue Ideen entstehen nicht im Vakuum einer hierarchischen Struktur, sondern in einer offenen verspielten Welt, in der sich die Menschen auf Augenhöhe begegnen.

Werden diese Lösungsansätze sinnvolle Blockchain-Lösungen bringen? Schwer zu sagen. Doch ohne einen guten Nährboden und ein organisatorisches Umdenken ist die Wahrscheinlichkeit jedenfalls ziemlich gering. Unsere Gedanken zu Kultur und disruptiven Technologien stehen erst am Anfang. Ebenso die »teal phase« von Organisationen. Und Organisationen entscheiden selbst, welche Kultur zu ihren technologischen Lösungen passt. Durch Technologien wie der Blockchain wird es aber in Organisationen und für Personen immer einfacher, anders als gewohnt zusammenzuarbeiten. Dezentrale autonome Organisationsformen etablieren sich zunehmend am Markt – auch weil viele nicht mehr in hierarchisch geführten Unternehmen arbeiten wollen und können. Neue Unternehmensstrukturen könnten etwa mittels »Smart Contracts« organisiert werden. Diese Entwicklung steckt noch in den Kinderschuhen – aber sie könnte ein Zeitalter der »tealschen« Unternehmen einleiten.


Tipp:  Achtsamkeitstrick

Groß wirkende Probleme zu lösen bedarf einer inneren Klarheit! Unter dem Begriff der »Achtsamkeit« fasst man die Einstellung und Methoden zusammen, solchen Situationen zu begegnen. Eine ganz einfache Möglichkeit, um in diese Klarheit zu kommen ist es, Atmung einzusetzen, beispielsweise zu Beginn einer gemeinsamen Sitzung: »Beginnen wir diese Sitzung mit einem Augenblick Klarheit! Nehmt entspannt Platz und atmet dreimal tief ein … und wieder aus.«


Die AutorInnen

Maria Kreuzer
, IMARK Strategy & Research, unterstützt Organisationen in der Erarbeitung ihrer strategischen Ausrichtung, ihrer Marke sowie bei der Durchführung von Marktforschungsprojekten. Auf das Thema Blockchain und Unternehmenskultur sowie auf ihre beiden Co-Autoren ist sie durch ein Kundenprojekt gestoßen.

Andrej Balukcic
, Digital Planet, arbeitet seit Jahren in agilen Softwareentwicklungs Teams an hochwertigen Kundenlösungen. Er ist täglich mit den Herausforderungen von Führungskräften und Entwicklern konfrontiert und hat umfangreiche Erfahrung mit großen Softwareprojekten, die von großen und verteilten Teams entwickelt werden. Andrej ist ein Blockchain-Enthusiast.

Hannes Lischka
ist seit 20 Jahren IT Professional und aktuell Enterprise-Architekt »plus« bei einer österreichischen Bankengruppe sowie freiberuflicher Unternehmensberater. Seine Vision lautet »Share and Grow«, was bedeutet, dass er achtsame Brücken zwischen den Menschen und der digitalen Welt baut.

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