Freitag, November 22, 2024

Sind wir (immer noch) zu retten?

Auf den Monat genau vor zwei Jahren stellte ich in dieser Kolumne die Frage: Sind wir noch zu retten? Polemisch suchte ich damals den Ausweg aus »der Krise«. Inzwischen ist der Rettungsring 300 Milliarden Euro schwer. Braucht es aber nicht mehr als Geld?

Wer an den Ausbruch der Krise 2008 zurückdenkt, wird leise mahnende Worte hören, die damals von einer strukturellen Schwäche Europas gesprochen haben, die als Schaden zurückbleiben wird. Gleichzeitig wird es diese Schwäche Europa schwer machen, die Krise leicht und komplett abzuschütteln. Die Rede war schon damals (zugegebenermaßen nur vereinzelt und stets von einem lautlosen Fragezeichen begleitet) von einer strukturellen Arbeitslosigkeit und anhaltendem Niedrigwachstum als Ballast für Europa. Jetzt haben wir wohl den Salat.

300 Milliarden zur Glückseligkeit

Alchemisten gleich sucht daher Europas politische Elite nach Rezepten zum Ankurbeln der Volkswirtschaften. Ein gehebeltes EU-Investitionsprogramm soll bis zu 300 Milliarden Euro generieren, um Wirtschaftstreiben auszulösen. Dahinter steckt der Versuch, jene Geldmengen, die derzeit in Unternehmen, Investmentfonds und dergleichen gebunkert werden, zurück in den Kreislauf zu lenken. Ob die Projekte, die die Kommission zur Aufnahme in das Investitionsprogramm vorgesehen hat, auch tatsächlich das gewünschte Fremdkapital anlocken werden, bleibt noch abzuwarten. Denn Investoren rechnen in Renditen und Investitionssicherheit. Die zu finanzierenden Projekte dürfen also nicht nur nach politischer, sondern müssen auch nach marktwirtschaftlicher Logik ausgewählt werden. Denn zu verschenken haben »die Märkte« nichts.

Geld allein reicht nicht

Mit Geld allein wird Europa aber nicht glücklich werden. Warum soll es einem Kontinent da anders gehen als jedem Einzelnen? Wichtiger als die paar Milliarden, die von öffentlichen EU-Töpfen kommen werden, ist »gute Politik«. Unternehmen investieren nicht deshalb derzeit nicht, weil es kein Investitionsprogramm gibt. Es fehlt natürlich mancherorts an Liquidität (weil Banken das Geld als Eigenkapital aufbauen müssen statt als Kredite weiter reichen können), aber noch mehr fehlt es an Vertrauen: in die Politik, die Kaufkraft und das Positive auf unserem Kontinent. Die europäische Politik kann und muss daher mit Initiativen und ihrer Gesetzgebung wichtige Signale setzen. Je nachdem, wie diese Signale aussehen, wird auch die Wirtschaft ihr Tun ausrichten. An der Krise wird Europa nicht zugrundegehen. Zu groß waren andere zuvor, als dass unser Kontinent oder seine Bewohner nun vor unlösbaren Aufgaben stehen würden. Aber es reicht in der heutigen Welt nicht aus, sich auf Erfolgen aus der Vergangenheit auszuruhen. Vertrocknete Lorbeeren sind kein bequemes Ruhebett. Es ist daher sehr wohl auch die Aufgabe der politischen Eliten, den Glauben an Europa zu stärken und eine Aufbruchsstimmung zu erzeugen. Der einzelne Bürger kann sich da aber nicht aus der Verantwortung nehmen. Schließlich besteht das Ganze »Europa« aus der Summe seiner Bürgerinnen und Bürger und nicht nur aus drei europäischen Institutionen.


Zum Autor:

»Der Glaube an Europa muss gestärkt werden.«

Gilbert Rukschcio studierte Politikwissenschaft in Wien und Aix-en-Provence. Seine berufliche Laufbahn startete er 2005 im Europäischen Parlament. Er ist geschäftsführender Gesellschafter von pantarhei Europe und als Politikberater mit Tätigkeitsschwerpunkt in Brüssel für verschiedene österreichische und internationale Unternehmen und Verbände tätig. In seiner Kolumne »News aus Brüssel« versorgt er die LeserInnen der Report-Fachmedien mit Hintergrundinfos zu europäischen Fragen.

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