Sonntag, Dezember 22, 2024

Hindernis auf dem Weg zur Klimaneutralität: Der Energiecharta-Vertrag ECT

Viele Unternehmen haben es bereits erkannt, der Weg zur Klimaneutralität bringt neue Chancen und Wachstumsmärkte. Auch immer mehr Staaten wollen wegweisende Rahmenbedingungen gestalten, dabei steht oft ein Regelwerk den Änderungen im Weg: Der Energiecharta-Vertrag.

Änderungen sind nötig

Das Jahr 2020 war das wärmste Jahr in Europa seit Messbeginn und der Kälteeinbruch im Mai 2021 war nur eine Verschnaufpause bei der Klimakrise. Denn die Internationale Energieagentur (IEA) prognostiziert für 2021 CO2-Höchstwerte und die Kohleenergie wird voraussichtlich den Verbrauchspeak aus dem Jahr 2014 überschreiten. Allen ist – mehr oder weniger – klar, dass Veränderungen nötig sind.

Ich erlebe häufig in Diskussionen in Wirtschaftsunternehmen, dass der Ruf nach der Politik laut wird, sie möge doch bitte Rahmenbedingungen schaffen. Diese Regeln sollen sichere Investitionsbedingungen für neue Technologien schaffen. Wenn allerdings die längst überfällige Bepreisung von Emissionen zur Sprache kommt, dann ist der politische Einfluss doch nicht mehr so gewünscht. Ein einflussreiches Rahmenwerk, das aber nicht in der breiten Öffentlichkeit bekannt ist, gibt es bereits seit über 25 Jahren:

Der Energiecharta-Vertrag (ECT)

Der „Energiecharta-Vertrag" (englisch „Energy Charter Treaty") ist ein Vertragswerk aus den 1990er-Jahren, welches von über 50 Länder weltweit ratifiziert wurde. Die ursprüngliche Idee war, privaten Unternehmen den Zugang zu den Energiemärkten in Staaten der ehemaligen UdSSR zu ermöglichen. Mittlerweile sind auch asiatische Länder, wie Japan, beigetreten und afrikanische Staaten beobachten das Geschehen rund um den ECT. Der Vertrag sichert private Investitionen im Ausland ab und soll damit den Investitions- und Technologietransfer forcieren.

Das klingt gut. Wo liegen die Probleme?

Der ECT ist einseitig, denn nur Investoren aus den jeweiligen Mitgliedsstaaten können in anderen Mitgliedsstaaten klagen. Privatpersonen, wie etwa BürgerInnen der jeweiligen Mitgliedsländer, oder andere Institutionen sind für Klagen nicht zugelassen, womit das Grundrecht auf Rechtsstaatlichkeit ausgehebelt wird.

Diesbezüglich ist es auch nicht hilfreich, dass die Klagen vor einem privaten Schiedsgericht verhandelt werden. Diese Institution entscheidet im Einklang mit dem ECT-Vertrag und den anwendbaren Regeln und Grundsätzen des Völkerrechts. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass lokale Gesetzgebungen, wie etwa das Europarecht, außer Kraft gesetzt sind.

Zudem bestehen die Schiedsgerichte aus drei Personen, die von den jeweiligen Klagsparteien ernannt werden. Bei Tagessätze von etwa 3.000 Dollar pro Person stellt sich die Frage, ob die SchiedsrichterInnen an schnellen Lösungen interessiert sind. Wenn man sich die bisherigen Fälle ansieht, merkt man schnell, dass besonders Gutachter und Anwaltskanzleien gut beschäftigt waren.

Ein weiterer Punkt ist die Definition von Investitionen. Anders als bei Verfahren vor staatlichen Gerichten können vor dem ECT-Schiedsgericht auch mögliche künftige Gewinne, Zinsen und Kapitalzuwächse eingeklagt werden, was zu wesentlich höheren Streitsummen führt.

ECT versus Klima

Wenn ECT-Mitgliedsländer sinnvolle und unbedingt notwendige Schritte im Bereich der Klimakrise setzen wollen, kann das teuer werden. Wird beispielsweise der Ausstieg aus der Kohleenergie, Kernkraft oder Erdgas beschlossen, greift der Energiecharta-Vertrag, denn die Investoren können sich auf die bisher geltenden Gesetze und den damit einhergehenden Investitionsschutz berufen.

Noch perfider ist die sogenannte „Sunset-Clause", durch diese gelten die Bestimmungen des ECT-Vertrages auch noch 20 Jahre nach Austritt eines Mitgliedsstaates. So ist es beispielsweise Italien ergangen, welches 2016 aus dem Vertrag ausgetreten ist und beschlossen hat, vor der italienischen Küste keine neuen Öl- und Gasbohrungen mehr zuzulassen. Das brachte Italien prompt die ECT-Klage des britischen Konzerns Rockhopper über 275 Millionen Euro ein. Das ist etwa neun Mal so viel, wie Rockhopper bisher investiert hatte.

Ein weiteres Beispiel ist die Klage von Uniper und RWE gegen die Niederlande, welche ein Ende der Kohleenergie ausgerufen haben. Der schwedische Konzern Vattenfall hat die Bundesrepublik Deutschland wegen dem Atomausstieg „erfolgreich" verklagt, was den SteuerzahlerInnen Milliarden gekostet hat. Ein weiteres kurioses Beispiel ist Deutschlands Kohleausstieg: Hier einigte man sich mit dem Kohle-Unternehmen LEAG auf die 50-fache Summe der Kosten, die das deutsche Bundeswirtschaftsministerium berechnet hatte. Dafür musste die LEAG zusichern, nicht über den ECT zu klagen.

Grüne Zukunft?

Das Recherchenetzwerk "Investigate Europe" berechnete, dass der ECT fossile Infrastruktur in der EU, Großbritannien und der Schweiz in der Höhe von 344,6 Milliarden Euro schützt. Es ist leider davon auszugehen, dass der Vertrag dazu verwendet wird, den Status quo fossiler Energiequellen zu schützen bzw. den Abschied auf Kosten der Allgemeinheit, also auf Kosten von Ihnen und mir, zu vergolden. Das bedeutet auch, dass Staaten aus Angst verklagt zu werden, Klimaschutzmaßnahmen verzögern oder dass der Klimaschutz teurer wird.

Einige Länder, darunter Spanien, Frankreich sowie auch Österreich, haben erkannt, dass der ECT in Bezug auf die Klimaziele hinderlich ist. Auf Drängen der EU soll der Vertrag daher modernisiert werden. Da aber sämtliche Änderung einstimmig beschlossen werden müssen, ist die Aussicht darauf eher schlecht.

Daher ist die Frage, wie viele Länder dem Beispiel Italiens folgen und austreten. Da viele Klagen innerhalb der EU stattfinden, könnte eine innereuropäische Lösung angestrebt werden. In diesem Monat beschäftigt sich auch der EuGH mit dem Thema ECT, da durch diesen Vertrag das Europarecht aushebelt wird. Es bleibt also spannend.

Rahmenbedingungen

Die Entwicklung von Rahmenbedingungen für Investitionen ist für alle Seiten hilfreich, wenn die Interessen ausgewogen vertreten sind. Wenn aber die Rechtsstaatlichkeit nicht gewährleistet ist oder Geschäftsmodelle protegiert werden, bei denen Umweltschäden sozialisiert und die Gewinne privatisiert werden, ist dringender Handlungsbedarf geboten.

Der Klimawandel ist bald seit 40 Jahren bekannt und spätestens seit dem Stern-Report wissen wir auch, dass die Kosten der Schäden durch die Klimakrise wesentlich höher sind als die notwendigen Investitionen dagegen. Zudem wird in der Diskussion gerne vergessen, dass ein Ausbau der erneuerbaren Energien die lokale Wirtschaft stärkt, neue Arbeitsplätze schafft und Geld für den Import fossiler Energiequellen spart.

Uns muss immer klar sein, selbst wenn sich mit Vertragskonstrukten wie dem ECT private Interessen gegen Staaten durchsetzen lassen – gegen die Klimakrise helfen diese Klagen nicht. Dem Planet Erde ist es relativ egal, was wir hier machen. Wir schaden uns nur selbst, nehmen uns unsere eigene ökologische Nische und das kann nicht Sinn der Sache sein.

Bild: iStock

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