Monday, October 13, 2025

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Es ist ein geopolitischer Paukenschlag mit weitreichenden Folgen: Russland und China haben ein Memorandum über die Pipeline Power of Siberia 2 unterzeichnet – ein Projekt, das als das größte und teuerste Gasvorhaben der Welt gilt.

Künftig sollen bis zu 106 Milliarden Kubikmeter Erdgas jährlich von russischen Feldern nach China strömen. Zum Vergleich: Vor dem Angriffskrieg auf die Ukraine exportierte Russland jährlich mehr als 150 Milliarden Kubikmeter Gas nach Europa.

Mit dem neuen Deal wird dieser Energiestrom endgültig umgeleitet. Die Pipelines, die einst Europas Industrie und Haushalte speisten, sind heute Mahnmale einer vergangenen Abhängigkeit. Nord Stream liegt nach den Explosionen 2022 brach, die Druschba-Pipeline – jahrzehntelang das Symbol sowjetisch-europäischer Energieverflechtung – wird nur noch marginal genutzt. Was einst als „Lebensadern“ der europäischen Versorgung galt, ist nun rostendes Blech im geopolitischen Niemandsland.

Für China hingegen öffnet sich ein goldenes Energiezeitalter. Peking sichert sich nicht nur verlässlich große Mengen Gas, sondern bekommt sie zu Preisen, die weit unter jenen liegen dürften, die Europa künftig am Weltmarkt zahlen muss. Der durchschnittliche Spotpreis für LNG in Europa lag 2023 bei 35–40 Euro pro Megawattstunde – in Spitzenzeiten 2022 sogar bei über 300 Euro. China hingegen bezieht russisches Gas im Rahmen langfristiger Verträge Schätzungen zufolge um 20 bis 30 Prozent günstiger.

Damit vergrößert sich der Wettbewerbsvorteil Chinas entscheidend. Jahrzehntelang war es die billige Arbeitskraft, die dem Reich der Mitte einen Vorsprung im globalen Handel verschaffte. Nun kommt billige Energie hinzu – ein doppelter Kostenvorteil, gegen den Europas Industrie kaum anstinken kann.

Die Folgen zeichnen sich bereits ab:

  • Chemieindustrie: BASF hat 2022 den Bau eines neuen Großstandorts in Zhanjiang, Südchina, angekündigt – Investitionsvolumen 10 Milliarden Euro. Begründung: günstige Energie und Marktnähe. In Europa hingegen schrumpft die Ammoniakproduktion – sie lag 2023 rund 70 Prozent unter dem Vorkrisenniveau, weil die Gaspreise zu hoch sind.
  • Stahl- und Zementindustrie: Stahlwerke in Deutschland mussten ihre Produktion 2022 zeitweise um bis zu 30 Prozent drosseln. Chinesische Stahlproduzenten konnten dagegen ihren globalen Marktanteil auf über 55 Prozent ausbauen.
  • Automobilindustrie: China hat Europa bei der E-Auto-Produktion bereits überholt. 2023 exportierte China erstmals mehr Autos als Deutschland, insgesamt 4,1 Millionen Fahrzeuge – ein Plus von fast 60 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Energieintensive Batteriefabriken sind ein wesentlicher Standortfaktor, und auch hier hat China die Nase vorn.

Die Prognosen sind alarmierend: Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft könnten die hohen Energiepreise Europas Industrieproduktion bis 2030 um 10 bis 15 Prozent senken. Gleichzeitig prognostiziert die Internationale Energieagentur (IEA), dass China bis 2030 seinen Gasimportbedarf auf über 200 Milliarden Kubikmeter jährlich steigern wird – die Hälfte davon könnte aus Russland kommen.

Gazprom-Chef Alexei Miller spricht von „dem größten, ambitioniertesten und kapitalintensivsten Projekt in der Geschichte der globalen Gasindustrie“. Was er nicht sagt: Es ist vor allem auch ein geopolitisches Projekt. Russland schließt das Kapitel Europa ab und bindet sich enger an China – aus der Not eine Tugend machend, nachdem westliche Sanktionen und der politische Bruch nach 2022 das alte Geschäftsmodell zerstört haben.

Die westliche Beobachterwelt hat dafür bereits ein griffiges Schlagwort gefunden: den „Dragonbear“. Das Bündnis aus Drachenmacht China und Bärenmacht Russland zementiert nicht nur die Zusammenarbeit in Militärfragen oder im Rohstoffhandel, sondern definiert eine neue globale Energieachse. Europa ist nicht mehr Teil davon, sondern Zuschauer am Spielfeldrand.

Die Power-of-Siberia-2 ist daher weit mehr als ein technisches Megaprojekt. Sie ist Symbol einer tektonischen Verschiebung im globalen Machtgefüge: Während Europa teure Kompromisse eingeht und über Wettbewerbsfähigkeit klagt, verschafft sich China eine doppelte Trumpfkarte – billige Arbeitskraft und billige Energie. Die „Drachenbär“-Allianz ist damit nicht nur eine Frage geopolitischer Balance, sondern eine existenzielle Bedrohung für die industrielle Zukunft Europas.

 

Fakten & Zahlen: Energie und Industrie im Umbruch

Kennzahl / Bereich

Europa (vor/nach 2022)

China (aktuell/prognostiziert)

Russische Gasimporte

>150 Mrd. m³/Jahr vor 2022 → <20 Mrd. m³ 2023

Bis zu 106 Mrd. m³/Jahr über Power of Siberia 2 (geplant)

Gaspreise (Durchschnitt 2023)

Europa: 35–40 €/MWh (2022 Spitze >300 €)

Langfristige Verträge mit Russland: geschätzt 20–30 % günstiger

Nord Stream / Druschba

Praktisch ungenutzt / stark reduziert

Chemieproduktion (Ammoniak)

Europa: –70 % gegenüber Vorkrisenniveau

Ausbau großer Standorte (BASF Zhanjiang, 10 Mrd. €)

Stahlproduktion

EU-Drosselungen bis –30 %

Weltmarktanteil >55 %

Automobilproduktion / Export

Deutschland: 2,9 Mio. Exporte 2023

China: 4,1 Mio. Exporte 2023 (+60 %)

Prognose Industrieproduktion 2030

–10 bis –15 % in Europa (IW Köln)

Gasimportbedarf >200 Mrd. m³ (IEA)

Die Power-of-Siberia-2 ist somit nicht nur ein Pipeline-Projekt, sondern ein Gradmesser der globalen Kräfteverschiebung: Während Europa mit hohen Kosten und Standortverlagerungen kämpft, baut China auf eine Zukunft mit doppeltem Vorteil – billige Arbeitskraft und billige Energie.

 

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