Donnerstag, April 18, 2024

Tod aus Verzweiflung

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Die USA werden Opfer einer Epidemie, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine halbe Million Menschen hinweggerafft hat.

Begonnen hat sie Anfang des Jahrtausend im Südwesten des Landes, um 2004 kam sie über die Appalachen, dann Florida, erfasste den Nordwesten des Landes. Heute hat sie sich in jedem Winkel der USA festgesetzt, die Epidemie, die zu einem dramatischen Anstieg der Sterblichkeit geführt hat. Sie trifft nur Weiße, die Altersgruppe zwischen 45 und 55 und nur die USA. In anderen Industrienationen kann das Phänomen nicht beobachtet werden. Mediziner sind ratlos. Es brauchte einen Wirtschaftswissenschafter,um eine Erklärung zu finden. Angus Deaton, der an der Universität Princeton lehrende Nobelpreisträger, hat einen Begriff für dafür gefunden: Tod aus Verzweiflung.

Zwischen 1978 und 1998 sank die Sterblichkeitsrate dieser Alterskohorte um zwei Prozentpunkte. Damit lagen die USA im internationalen Gleichklang. 1998 drehte der Trend, seither steigt die Sterblichkeitrate um einen halben Prozentpunkt pro Jahr. Der Unterschied: eine halbe Million Menschen, etwa so viele wie durch die AIDS-Epidemie sind Opfer der stillen Seuche geprägt von Selbstmord, Alkohol- und Drogentod.

Lange Zeit wurde das Phänomen übersehen. Weil der schleichende Tod mit einem Rückzug der Betroffenen in ihre eigenen Welt zu tun hat und weil die Opfer entweder direkt oder indirekt Hand an sich selbst legen, werden sie als tragische Einzelschicksale abgestempelt. Oberflächlich betrachtet, scheitern die Betroffenen an sich selbst. Sie verlieren ihre Arbeit, Ehen gehen zu Bruch, die sozialen Beziehungen erodieren. Alkohol und Drogen betäuben den Schmerz. Letztlich ist Verzweiflung die Todesursache und das hat viel mit den nicht erfüllten Erwartungen an ein Leben in materieller Abgesichertheit zu tun. Angus Deaton hat herausgearbeitet, dass ein handfester Zusammenhang zwischen dieser Epidemie und dem wirtschaftlichen Niedergang genau dieser Gruppe besteht.  Die Erosion der weißen Mittelklasse setzte in den 70er-Jahren ein. Industriearbeitsplätze gingen verloren und mit ihnen auch der Zusammenhalt einer Gruppe, das Eingebettet-sein in ein Werk. Ganze Landstriche sind verödet, weil die Fabriken entweder zugesperrt oder nach Mexiko oder Asien abgewandert sind.

Der amerikanische Traum ist für viele zu einem Alptraum geworden. Dafür spricht, dass Schwarze und Latinos dieser Alterskohorte von dem Phänomen nicht betroffen sind. Sie waren von vornherein nicht Teil dieses Traumes. Die Depression diskriminiert, in diesem Fall Weiße. Warum das so ist, versuchen Deaton und seine Frau Anne Case, ebenfalls Professorin in Princeton, im Detail zu klären. Sie stehen dabei vor der schwierigen Frage, wie verlorengegangene Identität und frustrierte Erwartungen massenhaft in den frühen Tod treiben können.

In einem Beitrag für die New York Times schreibt Deaton: »Es gibt Millionen Amerikaner, deren Leiden durch Armut und Krankheit so schlimm oder noch schlimmer ist als jenes der Armen in Afrika und Asien... Es ist Zeit, dass wir aufhören zu glauben, nur Nicht-Amerikaner seien arm.« In Wahrheit sind viele so arm, nicht nur materiell sondern auch sozial, dass sie sich betäuben müssen, um ihre Existenz zu ertragen, ehe sie sie vor der Zeit beenden.

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