Samstag, Dezember 21, 2024

Bauen heißt Zukunft gestalten. Dafür braucht es innovative Lösungen und Ansätze. In den letzten Jahrzehnten war eine Revolution am Bau erkennbar. Bei Baustoffen erlebt sie auch heute eine Fortsetzung.

Firmitas, Utilitas, Venustas – wer mit Latein nicht so vertraut ist: Festigkeit, Nutzen, Schönheit. So definierte bereits der römische Architekt Vitruvius die Anforderungen an das perfekte Gebäude. »Dafür bedarf es Forschung und Innovation«, so Inge Schrattenecker, Leiterin des Programms klima:aktiv Bauen und Sanieren bei der ÖGUT. Bislang standen hauptsächlich geringe Anschaffungskosten im Mittelpunkt der Kaufentscheidung. Künftig spielen Lebensdauer, Amortisationszeitraum und die Entwicklung der Energiekosten eine wichtige Rolle. »Als größter Verbraucher stofflicher Ressourcen, größter Energieverbraucher und größter Abfallverursacher bei gleichzeitig der längsten Produktlebensdauer hat der Gebäudesektor ein gewaltiges PotenZial zur Umstellung auf nachhaltige Wirtschaft«, so Bernhard Lipp, Geschäftsführer des Österreichischen Instituts für Bauen und Ökologie, IBO. Nachhaltigkeit ist für ihn dabei nicht beschränkt auf ökologische Faktoren, sondern auch auf ökonomische und soziale. Den sozialen Faktor erklärt Inge Schrattenecker. »Innovation bedeutet nicht nur die Entwicklung von Baumaterialien und Bautechnologien, sondern v.a. Änderungen im NutzerInnenverhalten und im Planungsprozess von Wohnhausanlagen.« Innovation in Ökologie und Ökonomie haben mehrere Ebenen – hier ein Blick in die Bauszene, natürlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Innovativ in die Höhe

In einem waldreichen Land wie Österreich nimmt Holz als Material im Gebäudekubus zu. Aber auch die Forschung im Bereich Beton wird intensiviert. »Die Betontechnologie befindet sich seit Beginn der 90er-Jahre im Aufschwung«, informiert Prof. Jürgen Feix, Leiter des 2007 gegründeten Forschungszentrums Innovative Baustoffe, Bauverfahren und Konstruktion an der Uni Innsbruck. Beton ist zunehmend ein Hightech-Produkt. Heute steht v.a. textilbewehrter Beton im Fokus der Wissenschaftler. Dabei wird für die Übertragung der Zugkräfte kein Stahl, sondern technische Hochleistungsfasern, die sehr dünne Bauteilstärken ermöglichen, verwendet. Textilbeton ist v.a. für architektonisch ansprechende Strukturen wie Schalentragwerke oder leichte Betonfachwerke sowie im Innenraumdesign geeignet. Weitere Betoninnovationen sind der selbstverdichtende, der lichtdurchlässige und der ultra-hochfeste UHPC-Beton. Durch Beimengung von sehr dünnen kurzen Stahl- oder Glasfasern wird bei UHPC-Beton sowohl im Druck- als auch im Zugbereich eine sehr hohe mechanische und chemische Widerstandfähigkeit erzielt. Die Druckfestigkeit ist rund fünf Mal so hoch wie die von gebräuchlichem Beton und nähert sich in seiner Größenordnung der Festigkeit üblichen Baustahls. Die Nutzungsdauer von Tragwerken aus UHPC wird etwa fünf Mal so hoch eingeschätzt wie die von Tragwerken aus Normalbeton unter denselben Umwelteinflüssen. Das spezifische Gewicht beträgt etwa ein Drittel von Stahl, das nötige Betonvolumen kann um 70 bis 80 Prozent reduziert werden. »Dennoch bleibt die Standfestigkeit erhalten«, versichert Bernhard Lipp. CemArtStone setzt Glasfasern beim UHPC-Beton ein. Andere Entwicklungen der letzten Jahrzehnte: Holz-Beton-Verbundkonstruktionen zeichnen sich durch günstigere statische Eigenschaften, besseres Schwingungsverhalten und Schallschutz aus. Auch große Spannweiten werden durch HBV möglich. »Leider haben sich HBV-Systeme in der Breite noch nicht durchgesetzt.« Einen deutlichen Erfolg verbuchen dagegen die Verarbeitungsmethoden. Wienerberger verzeichnet Erfolg mit dem Porotherm Dryfix Planziegel-Kleber, der ein wärmebrückenfreies Ziegelmauerwerk ermöglicht, schnell und sauber zu verarbeiten und auch bei Temperaturen bis zu minus 5 Grad Celsius problemlos einsetzbar ist. Starre Klebstoffe werden zunehmend durch elastische ergänzt, Schwingungen werden besser aufgenommen und Erschütterungen abgefedert. Vor allem Hybridbaustoffe, also z.B. Glas/Holz für Fassaden oder Holz/Beton für Böden, können besser verarbeitet werden. Aus dem Bereich der klassischen Verarbeitungsmethoden berichtet Jürgen Feix von einer Steigerung der Durchstanztragfähigkeit bei bestehenden Stahlbetonbauteilen, etwa durch die Vergrößerung des Lasteinleitungsbereiches in Form einer Stützenkopfverstärkung oder durch die Steigerung der Biegetragfähigkeit in Form aufgeklebter und vorgespannter CFK-Lamellen. Lichtbeton bildet eine weitere Betoninnovation. Dieses Produkt wird aus hochfestem Feinbeton hergestellt, in den Lichtwellenleiter in Form von Gewebe eingearbeitet sind. Diffuses Licht erreicht den Raum. »Die Bauindustrie braucht alle diese Entwicklungen«, urteilt Bernhard Lipp.

Innovativer Kubus

In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass das Thema Ökologie im Bauwesen deutlich an Bedeutung gewinnt. Bei den Dämmmaterialien ist davon aber noch wenig zu spüren. Stoffe wie Hanf, Flachs und Zellullosefasern aus Recyclingmaterial sind zwar am Markt erhältlich, »man kann aber nicht sagen, dass sie eine Marktbedeutung erhalten haben«, betont Bernhard Lipp. Für ihn interessant ist die Entwicklung von Holzdämmschaum. Diese Forschung läuft derzeit in Deutschland. Die Wärmeleitzahlen werden weiter verbessert, mit nachwachsenden Rohstoffen, so einfach anwendbar wie EPS. Bereits Usus ist die Verwendung verfüllter Ziegel. Der Porotherm 50 W.i von Wienerberger ist beispielsweise ein 50 cm starker Ziegel, dessen Hohlkammern mit Steinwolle gefüllt sind. Der U-Wert wird damit von 0,16 auf 0,12 W/m2K verbessert. Schlanke Dämmplatten mit ausgezeichneter Wärmedämmung, speziell für Bereiche, die durch enge Platzverhältnisse sinnvolle Wärmedämmung bisher verhindert haben, schafft der Hochleistungsdämmstoff Austrotherm Resolution. Dämmmaterial erhält noch weitere Aufgaben. Sto verbindet die Fassade mit Energie. Mit StoVentec ARTline lassen sich bis zu 40 Prozent Energie einsparen, gleichzeitig erzeugt die Fassade bis zu 700 kWh Strom pro kWp im Jahr. In den Energy-Bereich fällt auch die innovative Dacheindeckung cocu®PV von Boehme Systems. In die Metallschindel wird ein flexibles Solarmodul integriert. Bei einem Projekt in Linz werden so rund 3.800 KW/h Strom pro Jahr erzeugt.

Innovativer Innenraum

Auch für das Rauminnere gibt es innovative Baustoffe, ökologisch und Hightech. »Wir haben für den Wohnbau eine eigene Abteilung«, hält Eduard Mayr, Geschäftsführer und Firmengründer des Raumberaters Area fest, der sehr viel mit Kunststoffen und den Kombinationen Glas/Kunststoff und Holz/Glas arbeitet und auf die Dreidimensionalität in allen Materialbereichen, von Glas über Holz bis zu Metall Wert legt. »Das ist auch im Wohnbereich von Bedeutung, Architektur und Design entwickeln sich in diese Richtung.« In diese Richtung geht auch Saint Gobain mit der Gyptone Big Curve. Aus trocken biegsamen Lochgipsplatten wird eine wellenförmige Decke ausgeführt, die durch ausgewogene Akustik und ein weiches Deckenbild besticht.

Innovativer Durchblick

Fenster mit optimierten Glaswerten sind heute Standard, doch auch hier sind Innovationen erkennbar, z.B. von Lisec. Das Unternehmen bietet Dreifach-Isolierglas mit vorgespannten Dünnglasscheiben. Dadurch werden ein geringeres Gewicht, Ug-Werte bis 0,6 W/m²K, sehr gute Schallisolation und ein Energiedurchlassgrad von 61 Prozent erreicht. Das vorgespannte Dünnglas wird auch für die solare Nutzung verwendet. Sicherheit steht im Zentrum von Evonik Para-Chemie. Plexiglas® Resist SG ist ein speziell entwickeltes Acrylglas mit eingearbeiteten Kunststofffäden für Verglasungen im Bereich von Dachlandschaften. Lichtkuppeln für den Bürobereich sind auch Thema bei Bartenbach, dem führenden Dienstleister in den Bereichen Tagesund Kunstlichtplanung. Zum aktuellen Innovationsschub zählen ebenso Tageslichtjalousien, LEDTechnologien mit Freiformtechnik, zirkadiane Lichtstimmungen und lichtlenkende Materialien.

Bau-Zukunft

Innovationen wird die Bauwirtschaft auch in Zukunft brauchen. Für die Donau-Universität Krems müssen Baumaterialien und Techniken gefunden werden, die sowohl in der Produktion als auch während der gesamten Lebensdauer und schlussendlich beim Abriss und Recyceln die Umweltbelastung so gering als möglich halten. Daniela Trauninger, Leiterin des Zentrums für Bauklimatik und Gebäudetechnik, verweist in diesem Zusammenhang u.a. auf das Projekt Lekoecos. Für Univ.-Prof. Jürgen Feix ist der Entwicklungsbedarf von Baustoff zu Baustoff unterschiedlich. »Ziel muss aber generell sein, mit weniger Material auszukommen. Das hat mit Nachhaltigkeit zu tun, sowohl ökologisch als auch ökonomisch. Und wir müssen künftig kombinieren.« Derzeit fällt laut Feix meist die Entscheidung für ein einziges System, also z.B. Beton oder Holz. »Es bedarf auch flexibler Strukturen, die Umstrukturierungen zulassen.« Bernhard Lipp sieht Innovationsbedarf v.a. bei Recyclingprozessen. Das Interesse ist heute noch nicht sehr groß. Hersteller und Recyclingunternehmen sind nicht davon betroffen, was in 20 oder 30 Jahren mit dem Abfall passiert.«

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