Montag, Dezember 23, 2024

Fachkräftemangel – ein teilweise hausgemachtes Problem

Die Wirtschaft beklagt den Fachkräftemangel. In manchen Branchen wird dieser zunehmend existenzbedrohend. Auch wenn ein Teil der demografischen Entwicklung geschuldet ist, so sind einige Ursachen hausgemacht. Unternehmen können dem Problem entgegenwirken.

Die demografische Entwicklung ist in der Tat nicht vorteilhaft für die Wirtschaft. Die so genannten Babyboomer gehen in den Ruhestand und die Folgegenerationen sind nicht so geburtenstark, dass man den Bedarf abdecken könnte. Einen Teil des Problems kann man mit Zuwanderung lösen, was in Zukunft ein wichtiger Faktor sein wird. Aber Unternehmen müssen sich auch von alten Weisheiten und Dogmen verabschieden.

Die Illusion des Leistungsprinzips
Manager*innen oder Lobbyvertreter*innen machen es sich mit Vorurteilen wie, die jungen Leute seien faul, nicht zu Leistung bereit und es gehe ihnen nur noch um ihre Freizeit, zu leicht. Auch wenn es sicher Menschen mit dieser Einstellung gibt, so ist sie nicht repräsentativ. Was sich in den letzten Jahren definitiv verändert hat, ist die Frage, ob Arbeit im Leben alles ist. Das Leistungsprinzip ist ein leeres Versprechen. Es wurde über Jahrzehnte suggeriert, dass man viel Wohlstand erreicht, wenn man sich nur ordentlich ins Zeug legt. Aber trotz großer Anstrengungen reichte es bei vielen nur für ständig kurze Zeitverträge und wenig Auskommen bei voller Arbeitszeit.

Bestimmte Berufe, die für eine intakte Gesellschaft sehr wichtig sind, werden schlecht bezahlt. Gleichzeitig sieht man völlig unverhältnismäßige Gehälter bei Funktionen, die wenig bis keinen Beitrag für eine Gesellschaft leisten. Viele Menschen brauchen zwei oder mehr Jobs um über die Runden zu kommen. Das alles sind Schieflagen der letzten Jahre, die bei der heutigen jungen Generation hängen geblieben sind. Das führt dann oft zur Frage: Warum sich im Job aufopfern, wenn man am Ende eh nichts davon hat? Das Leben, das man hat, soll nicht nur in Arbeit untergehen, und man möchte Arbeit und Leben zueinander passend gestalten. Dabei geht es nicht nur um die oft verteufelte »Work-Life-Balance«.

Paradigmenwandel
Jede Zeit hat ihren Zeitgeist und die Unternehmen, die diesen verstehen und sich entsprechend transformieren, kommen weiter. Die, die den Paradigmenwandel verteufeln und beharrlich auf dem Alten bestehen, haben ein Problem. Unternehmen müssen ihre Einstellung zum Menschen anders denken: 

- Der Mensch ist keine Ressource, er hat Ressourcen. Diese sind Kompetenz und Zeit, welche wiederum einen Wert darstellen.
Menschen möchten einen Sinn in ihrer Aufgabe sehen. Im Kontext der Klimakrise kommt es bereits zu »Climate Quitting«. Wenn nämlich Menschen kündigen, weil das jeweilige Unternehmen die notwendige Klimatransformation ignoriert. Es reicht nicht mehr aus, einfach ein adäquates Gehalt zu zahlen, man muss auch erklären können, was der Mehrwert von Produkten und Dienstleistungen ist.
Lebensmodelle ändern sich. Es ist naiv zu meinen, dass alle Menschen den Antrieb haben, möglichst viel Geld zu verdienen. Einigen reicht weniger, wenn sie dafür mehr Lebensqualität haben. Dieser Trend hat zugenommen und das müssen Arbeitgeber*innen respektieren.

- Produktivitätsgewinne sind seit Jahrzehnten primär in die Taschen von Eigentümer*innen und Topmanagement geflossen. Arbeitnehmer*innen bekommen von diesen Zugewinnen wenig bis nichts, obwohl sie diese erwirtschaftet haben. Es wäre überfällig, sie an diesen Gewinnen besser zu beteiligen. Und wenn das jemand für Sozialismus hält, dann wäre Henry Ford ein Sozialist gewesen, denn er hat in den 1920er-Jahren genau das getan: Produktivitätsgewinne aus der zunehmenden Automatisierung kamen seiner Belegschaft in Form von kürzeren Arbeitszeiten und höheren Gehältern zugute.

Wenn Unternehmen diese Tatsachen anerkennen und ihre Personalpolitik darauf ausrichten, wird das Problem des Fachkräftemangels deutlich kleiner.

Arbeitswelt neu denken
Um das in die Tat umzusetzen, gibt es viele Möglichkeiten. Gehalt ist dabei sicher ein Aspekt, aber nicht der einzige.

- Arbeitszeitmodelle können flexibler gestaltet werden. Job-Sharing kann man auch bei Führungspositionen anwenden und es ist kein Naturgesetz, dass dies meist nur Frauen in Anspruch nehmen.

- Die Vor- und Nachteile von Homeoffice haben wir in den letzten Jahren erprobt. Jetzt wieder alle komplett ins Büro zurückzuholen, wird nicht überall auf Gegenliebe stoßen.

- Es ist auch denkbar, dass Unternehmen bei gleichen Bezügen die Viertagewoche einführen. Hier kann an den verbleibenden vier Tagen die Arbeitszeit etwas erhöht werden (etwa von 7,5 Stunden auf 8,5 Stunden). Das würde dazu führen, dass Produktivitätssteigerungen damit an Mitarbeitende weitergegeben werden.

- Unternehmen müssen ihre Produkte und Dienstleistungen besser erklären. Wenn Unternehmen mit fragwürdigen Geschäftsmodellen schwer an Leute kommen, kann das auch am Geschäftsmodell liegen. Gerade im Kontext der Klimakrise werden viele Geschäftsmodelle ohnehin ihre Daseinsberechtigung verlieren.

- Die Gestaltung des Arbeitsumfelds mit hellen, freundlichen Räumen oder einem attraktiven Umfeld zum Beispiel mit Team-Events, Angeboten zur Fitness und Gesundheitsförderung machen auch viel aus.

Das sind nur ein paar Beispiele. Und wenn jetzt einige meinen, dass sei nur unrealistische Traumtänzerei, dann irren diese Leute. Es gibt Unternehmen, die vieles davon bereits umsetzen. Diese Organisationen haben, trotz eines teilweise ländlichen Standorts, keine Probleme mit dem Fachkräftemangel. Die Arbeitswelt von morgen ist anders, aber nicht schlechter.

Bild: iStock

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