Die Zahl der US-Arbeitsplätze stieg im August weniger als erwartet, der Wert für den Vormonat wurde nach unten revidiert. Im Jahresvergleich legt die Zahl der Jobs um 1,5% zu. Die Löhne steigen ebenfalls weniger als erwartet. Nach +0,3% Jahresrate im Juli werden im August nur +0,1% erreicht, es waren +0,2% erwartet worden.
Die jüngste Entwicklung im US-Arbeitsmarkt ist kein Beinbruch, zumal der Sommermonat August häufig ein wenig aus der Reihe tanzt. Andere Indikatoren zeigen ein recht stabiles Bild der US-Konjunktur. So ist der ISM-Index für den Fertigungssektor im August stärker gestiegen als erwartet, auch die Stimmung der Verbraucher ist stabil gut. Das US-BIP ist in der zweiten Schätzung um annualisiert 3% angestiegen, die Verbraucherausgaben tragen 2,27% zum BIP-Wachstum bei. Die Investitionen kommen auf einen Beitrag von 0,58%; das ist weniger als die 1,27% im ersten Quartal, aber immer noch mehr als bis zum dritten Quartal 2015 zurück, als die Investititionstätigkeit durchzuhängen begann (siehe hier!).
Alles zusammengenommen bleibt das Bild der US-Konjunktur wenig verändert – moderates Wachstum mit geringem inflationären Auftrieb. Der Tropensturm Harvey dürfte mit seinen Verwüstungen über den Tag hinaus für gewisse Wachstumsimpulse sorgen. Aber dauerhaft große Wachstumssprünge sind nicht zu erwarten. Das hat auch damit zu tun, dass die gegenwärtige wirtschaftliche Erholung mit 8,1 Jahren im Vergleich zum Durchschnitt von 5,7 Jahren schon lange anhält. Da auch Aktien eine Überbewertung je nach Meßmethode zwischen 85% und 100% zeigen (siehe hier!), ist das wirtschaftliche Gefüge eher fragil, d.h. anfällig gegen widrige endogene, aber v.a. auch exogene Einflüsse.
Der Echtzeit-Forecast für das nominale BIP, das Produkt aus Arbeitsplätzen, Wochenstunden und Stundenlohn, zeigt eine flache Entwicklung (Chartquelle).
Die Lohnentwicklung zeigt wenig Tendenz für eine stärkere Inflation – das ist vielleicht die wichtigste Botschaft der US-Arbeitsmarktzahlen für August. Nicht wenige Akteure an den Finanzmärkten nahmen sie zum Anlass für die Erwartung, es werde selbst im Dezember keinen weiteren Zinnschritt der Feed geben. Nach FF-Futures liegt die implizite Wahrscheinlichkeit hierfür jetzt bei 39,5%, am Vortag kam der Wert noch auf 42% .
Der schedische Ökonom Knut Wicksell hat sich vor über 100 Jahren mit dem Zustandekommen von Inflation befasst und argumentiert mit zwei wichtigen Zinsreihen. Die erste ist der Marktzins, hierfür wird heute häufig die Rendite von Baa-gerateten Bonds genommen. Die zweite ist der reale oder auch natürliche Zins, hierfür wird in der Regel das jährliche nominale BIP-Wachstum genommen. Liegt der Marktzins deutlich unter dem realen Zins, ermuntert das Unternehmen normalerweise, sich neu zu verschulden. Umgekehrt führt ein Marktzins deutlich über dem realen Zins, gehen die neuen Kredite zurück.
In der Praxis, so Niels C. Jensen in seinem lesenswerten Newsletter, hat sich gezeigt, dass sich die Wirtschaft in einigermaßen guter Balance befindet, wenn die Differenz zwischen der Rendite von Baa-gerateten Bonds und dem nominalen BIP-Wachstum bei etwa zwei Prozent liegt – daher die entsprechenden Inflationsziele der großen Zentralbanken (oder auch andersherum…). Liegt die Differenz über dieser Schwelle, dämpft das die Bereitschaft zur Aufnahme neuer Kredite. Je weiter sie darunter liegt, je eher sind Banken bereit, neue Darlehen auszureichen.
Die Vergabe neuer Kredite führt kurz- und mittelfristig zur einer wirtschaftlichen Belebung. Kurz-bis mittelfristig werden dadurch auch die Preise von Konsumgütern und Vermögensgegenständen angetrieben – es kommt zu einem inflationären Impuls.
Je mehr die Differenz der beiden Zinsreihen unter zwei Prozent liegt, je mehr Kapital wird jedoch auch fehlalloziert. Als Indikator hierfür können die Immobilienpreise dienen. Hier ist Australien Paradebeispiel, aber in Europa fliegen die Immobilienpreise in Großbritannien und Norwegen ebenfalls besonders hoch.
Diese Fehlallokation in Sektoren mit geringer Produktivität legt aber langfristig den Keim für eine neue Krise. Auch viele Regierungsprojekte erweisen sich als ökonomisch wenig sinnvoll – hierzu kann man getrost die Rettung maroder Banken rechnen, aber das ist ein anderes Thema.
Je länger die Situation anhält, in der die Differenz der beiden Zinsreihen deutlich unter zwei Prozent liegt, je höher ist Wahrscheinlichkeit, dass die Zentralbanken mit einem Gegensteuern zu spät dran sind und die Konjunktur dann schon mit kleinen Zinsbewegungen abwürgen können. Die Fed hätte meiner Meinung schon vor vier, fünf Jahren anfangen müssen, mit einem neuen Zinszyklus gegenzusteuern. Zudem ist auch Kapital eine endliche Ressource – je mehr davon in wenig oder unproduktive Verwendung geht, je langsamer entwickelt sich die Produktivität der gesamten Volkswirtschaft. Das wiederum ist v.a. angesichts des erreichten hohen Verschuldungsgrades und der zunehmenden Überalterung der westlichen Gesellschaften brandgefährlich.
Ich habe versucht, die Zusammenhänge anhand der Verhältnisse in den USA darzustellen. Die Differenz der beiden Wicksellschen Zinsreihen liegt aktuell für die USA mit 0,67% deutlich unter der zwei-Prozent-Marke, in Australien werden sogar –1,8% erreicht (nicht zufällig sind hier die Immobilienpreise “astronomisch”). Das Wachstum des Verhältnisses zwischen der Verschuldung des gesamten nicht-Finanz-Bereichs und dem nominalen BIP stagniert aktuell gegenüber dem Vorjahr, nachdem es im dritten Quartal 2016 um fast 3% angestiegen war (Chartquelle).
Es ist gut zu erkennen, wie die Veränderung der Schuldenquote des nicht-Finanz-Bereichs (rot) bis in die späten 1970er Jahre um die Nulllinie oszillierte und in ihren Bewegungen auch recht gut synchron ging mit der Differenz der beiden Zinsreihen (blau). In dieser Zeit waren die beiden Zeitreihen eng korreliert. Nach 1980 hat das Wachstum der Schuldenquote seinen stationären Pfad zeitweilig verlassen mit Spitzen von jeweils um die acht Prozent in 1985, 1986 und 2009. 2004 zeigte mit 6% ebenfalls einen hohen Wert. Auch in Q3/2016 wurden fast drei Prozent erreicht. Die Korrelation zwischen den beiden Zeitreihen war nach 1980 nur phasenweise gut, was nahelegt, dass die Kreditaufnahme dann (auch) von anderen Faktoren als der Differenz der beiden Wicksell-Raten beeinflusst wurde.
Jedesmal wenn nach 1980 die Differenz der beiden Wicksell-Raten über zwei Prozent (grüne Linie) stieg kam es zu einer Rezession (Ausnahme 1984). Vor 1980 war in dieser Hinsicht eher eine Schwelle zwischen –3 und –1,5% relevant. (Auch das wieder ein Beleg dafür, dass mit den frühen 1980er Jahren eine andere Zeit angebrochen ist.) 1984 lag die nicht-Finanz-Schuldenquote zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg bei über 100%, aktuell kommt sie auf über 250%.
Nach der Wicksellschen Zinsdifferenz ist die Gefahr einer unmittelbar heraufziehenden Rezession gering. Die Tatsache jedoch, dass in dem recht günstigen Zinsumfeld das Wachstum der Schuldenquote so gering ausfällt, wirft ein Schlaglicht auf die anemischen wirtschaftlichen Aktivitäten. Offenbar sehen viele Akteure keine gute Zeit für nennenswerte Neukredite. Mag sein, dass die bestehende Schuldenlast drückt, mag sein, dass die Aussichten in die Zukunft als zu unsicher erachtet werden. Das mag wieder zurückführen zum Artikel der Vorwoche “Immer mehr Zweifel an Trump“.
Wicksell hatte schon vor 100 Jahren herausgestellt: Wenn das nominale BIP-Wachstum, bzw. der reale Zins strukturell niedrig ist und die Zentralbanken darauf mit Senkungen der Leitzinsen reagiert haben, die Differenz zwischen beiden also abgenommen hat, kann ein Überangebot von Geld relativ zur Nachfrage letztlich zu Deflation führen. Das geschieht dann, wenn die die Kapitalkosten im Vergleich zum BIP-Wachstum so hoch sind, dass die Übernahme weiterer Risiken durch neue Kredite als nicht lohnend angesehen wird. In dieser Situation befinden wir uns derzeit. Das erklärt auch den gegenwärtig geringen Inflationsdruck.
Zum Zusammenhang von Inflation (CPI, all items) und Kredittätigkeit (hier Anstieg des privaten Verschuldungsgrades) lässt sich nach der Rezession 2008-2010 folgendes sagen: Im Herbst 2011 bis weit in 2012 hinein gab es einen ersten Inflationsimpuls, dann nochmals einen im zweiten Halbjahr 2014 und schließlich einen dritten zwischen Herbst 2016 und Anfang 2017. Der erste Inflationsimpuls dürfte seine Ursache im Anstieg der Verschuldung in 2009 gehabt haben, der zweite geht auf den Anstieg der Schuldenquote im Herbst 2012 zurück, der dritte steht in Zusammenhang mit dem Anstieg der Verschuldung im ersten Halbjahr 2016. Ganz grob würde ich abschätzen, dass der Zeitverzug zwischen einer Zunahme der Schuldenquote und ihrer Auswirkung auf die Inflation zwischen einem und zweieinhalb Jahren liegt. Ich würde weiter darauf wetten, dass wir in diesem Herbst noch eine erneute, vorrübergehende Belebung der Inflation sehen werden, was bullischen Optimismus zunächst stützen dürfte.
Unterdessen ist der S&P 500 in den Bereich seiner Rekordhochs aus Ende Juli, bzw. Anfang August vorgestoßen. Die Volumenverteilung ist vor wenigen Tagen auf Akkumulation umgesprungen, per se ein bullisches Zeichen. Der VIX notiert zwar bereits wieder nahe zehn, allerdings ist seine Volatilität recht hoch, so dass nicht von ‚complacency’, Selbstzufriedenheit, Sorglosigkeit gesprochen werden kann. Die innere, technische Disposition im S&P 500 legt aus meiner Sicht nahe, dass es zumindest -anders als vor fünf Wochen- ernsthafte Versuche geben dürfte, nach oben auszubrechen.
Am morgigen Montag, dem 4. September, ist in den USA ‚Labor Day’. Der Feiertag markiert an den Finanzmärkten auch das Ende der Sommerpause. Nicht eben selten ändert sich damit auch das Klima an den Finanzmärkten. In jedem Fall gehört der September, wie auch Teile des Oktober, zu den volatilen Börsenperioden, in denen es gehäuft (deutliche) Verluste gibt. Viel hängt davon ab, wie die Auseinandersetzung um den Schuldendeckel in den USA vorangeht, übergeordnet wichtiger ist die Frage, wann und wie die Steuereform dort, eines von Trumps großen Vorhaben, kommt. Je länger sie auf sich warten lässt, je größere Wunder scheinen ihr zugeschrieben zu werden.
Mit dem morgigen ‘Labor Day’ endet die Sommerpause an den Finanzmärkten. Nicht eben selten ändert sich damit auch deren Klima. Die Periode bis in den Oktober hinein gilt saisonal als besonders volatil. Es lauern geopolitische Risiken (Nord-Korea), auch die Auseinandersetzung um die Anhebung der Schuldenobergrenze in den USA ist für Querschläge gut. Über den Tag hinaus ist besonders wichtig, wie es mit der Steuerreform in den USA, eines von Trumps zentralen Vorhaben weitergeht.