Der frühere US-Außenminister Kissinger sagte vor kurzem in einem seiner seltenen Interviews, die Welt befindet sich in einer sehr, sehr ernsten Zeit. Er verglich die gegenwärtige Situation mit dem Beginn des zweiten Weltkriegs.
Er sagte weiter, Trump dürfte eine jener Figuren in der Geschichte sein, die von Zeit zu Teit erscheinen, um das Ende einer Ära zu markieren und sie zur Demaskierung zwingt. Das ist meiner Meinung nach richtig. Und auch das dürfte stimmen: Kissinger fügte an, Trump müsse sich seiner historischen Rolle nicht notwendigerweise bewusst sein, es könne schlicht ein Zufall sein. Und dämpft damit überzogene Schlussfolgerungen hinsichtlich des intellektuellen Potenzials des US-Präsidenten…
Ich habe dies in der Zeit seit der Wahl von Trump mehrfach erörtert – Trump markiert einen Wendepunkt in der Entwicklung seit 1971, dem Ende des Bretton Woods System. Damals wurde die moderne Globalisierung eingeleitet, die im wesentlichen die internationale Freizügigkeit des Kapitals zum Ziel hat. Wichtiges Element dabei war die Zurückdrängung der Macht der Nationalstaaten und ideologisch die These, der freie Markt, bzw. der Freihandel werde es schon richten, die unsichtbare Hand des Adam Smith werde „automatisch“ für maximalen Wohlstand sorgen. Nicht zufällig gewann damals die Theorie von Milton Friedman die Oberhand gegenüber derjenigen von Keynes.
Es dürfte zwar zutreffen, dass der Freihandel zunächst produktive Kräfte frei setzt. Das scheint die These von Ricardo zu stützen, wonach sich hierdurch die wirtschaftlichen Potenziale der beteiligten Länder entfalten. Aber die Betonung liegt auf „zunächst“. Wirtschaft ist keine Naturwissenschaft, die alleine bestimmten, ihr innewohnenden Gesetzen folgt. Die Wirtschaft eines Landes schafft und sichert dessen Lebensgrundlage, damit kommt per se eine nicht-ökonomische Kategorie ins Spiel. Da Ressourcen begrenzt sind und mit der Entwicklung des Kapitalismus die Profitraten tendenziell sinken, treten die Länder in zunehmende Konkurrenz zueinander. Wirtschaftlich schwächere Lander geraten mit fortbestehendem Freihandel in immer stärkere wirtschaftliche Abhängigkeit, ihre Existenzgrundlage verschlechtert sich.
Wie lange ist „zunächst“? Die moderne Globalisierung brachte tatsächlich zunächst einen wirtschaftlichen Aufschwung, an dem zunächst auch die breiten Bevölkerungsschichten Anteil hatten. Seit mehr als 20 Jahren jedoch stagniert die reale Einkommenentwicklung der unteren und mittleren Schichten. Gleichzeitig wird die Verteilung von Einkommen und Wohlstand immer ungleicher. Der große Gewinner ist die Finanzindustrie. In den USA hat sich der Anteil der nach-Steuer-Gewinne der Finanzindustrie am BIP seit 1970 um 190% erhöht, der der nicht-Finanz-Unternehmen stieg im gleichen Zeitraum um 12%.
Um die Jahrtausendwende gewann die VR China an wirtschaftlicher und politischer Bedeutung. Das internationale Kapital erhoffte sich dort eine ähnliche Entwicklung wie überall sonst auf der Welt, nämlich eine Öffnung der Grenzen. China entwickelte sich zur zweitgrößten Volkswirtschaft auf der Welt, blieb aber das einzige Land von globaler Bedeutung mit einem weiterhin mächtigen Nationalstaat. Die Hoffnung des westlichen Kapitals auf vollständige Öffnung der Grenzen erfüllte sich nicht. Dabei war der Westen sogar so weit gegangen, dem Ausverkauf westlichen Know-hows lange Jahre mehr oder weniger tatenlos zuzusehen.
Wie lange ist also „zunächst“? Wie der folgende Chart zeigt (Daten des IWF), erreichte der Welthandel um die Jahrtausendwende seine höchsten Wachstumsraten. (Wegen der großen jährlichen Schwankungen werden im Chart die jährlichen Veränderungen über sechs Jahre ausgemittelt, was in etwa den Konjunkturphasen der jüngeren Vergangenheit entspricht.) Davon ausgehend lag die Spitze der Entwicklung des Welthandels in 2000 bei rund 8% gegenüber dem Vorjahr, die Spitze der Entwicklung des Welt-BIP kam in 2007 auf 4,8%. Aktuell liegen die Werte jeweils bei rund 3,5%.
In dieser Entwicklung wird eine Verlangsamung der wirtschaftlichen Entwicklung auf der Welt deutlich. Es sieht so aus, als habe die moderne, Finanz-system gesteuerte Globalisierung rund dreißig Jahre nach ihrem in den frühen 1970er Jahren erfolgten Start ihre maximalen Entfaltungsmöglichkeiten überschritten. Offenbar muss man sich seitdem auf sinkende Zuwächse beim Welt-BIP und beim Welthandel einstellen.
Die Ideologie, wonach die unsichtbare Hand des freien Marktes schon alles zum besten richten werde, scheint von der Wirklichkeit nicht mehr bestätigt zu werden. Während früher Jahr für Jahr genügend zusätzlicher Wohlstand produziert wurde, um Almosen für das Wahlvolk zu verteilen, verschärft sich jetzt der Kampf um die Verteilung des kleiner werdenden Mehrprodukts. Das gilt intra- wie supranational.
Dies dürfte den historischen Rahmen für den laut Kissinger geschichtlichen Zufall namens Trump darstellen. Die Ära der modernen Globalisierung hat ihren Zenith überschritten. Statt weiter an die Segnungen von Freihandel und Marktwirtschaft zu glauben, kommt es zu merkantilistischen Tendenzen in der US-Politik. Dem entsprechen wirtschaftsideologisch Angebots-orientierte Theorien.
An die Stelle der Ohnmacht der Nationalstaaten tritt die Rückkehr zu dessen beherrschender Rolle. Interventionistische Eingriffe in die Wirtschaft sind an der Tagesordnung, der Staat agiert offen im Sinne der eigenen Unternehmungen (siehe z.B. die US-Steuerreform). Das geht so weit, die Unabhängigkeit der Zentralbanken infrage zu stellen und die Zins- und Geldpolitik offen den Interessen von Unternehmen unterzuordnen. Auch hier hat Trump kürzlich mit Kritik an der Fed Zeichen gesetzt.
Die Entwicklung der Produktivität wird im Rahmen solcher oft willkürlicher Eingriffe in die Wirtschaft eher belastet, unsicherere Rahmenbedingungen sorgen gesamtwirtschaftlich für ein schlechteres Umfeld für Investitionen. Jeder Eingriff zieht über unbeabsichtigte Seiteneffekte neue nach sich. Die Bürokratie ufert immer weiter aus.
Dadurch dass eine solche Politik immer offener die reichsten Teile der Bevölkerung begünstigt und Verteilungsgerchtigkeit eine immer geringere Rolle spielt, muss es notwendigerweise früher oder später auch zu einer härteren innenpolitischen Gangart kommen. Abgesehen von den davon ausgehenden Repressionen trägt auch das wirtschaftlich gesehen nicht dazu bei, Wachstumskräfte zu stärken.
Das alles trifft auf eine sowieso schon viel zu hohe Verschuldung. Die Geschichte lehrt, dass eine solche Situation die Gefahr kriegerischer Auseinandersetzungen massiv steigert. Auch hier kann man Kissinger folgen, der Parallelen zieht zur Zeit vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs.