Faszinierend, wie sich die bekanntlich eher träge Wertschöpfungskette Bau gerade schüttelt und aus dem Winterschlaf der letzten Jahrzehnte erwacht. Lösungen, die noch vor kurzem als Science-Fiction galten, sind heute Realität. Hersteller, die nicht sämtliche Produktdaten digital zur Verfügung stellen könne, werden künftig durch die Finger schauen. Ein Kommentar von Florian Kaiser.
Sowohl die erste digital BAU 2020 Messe in Köln als auch der BIM Live Kongress von BIMobject in Malmö haben eindrücklich gezeigt, wie sich eine Revolution am Horizont zusammenbraut. Endlich wird der Baubranche bewusst, dass die Erstellung und die Nutzung von Gebäuden mit Abstand den größten Hebel für die Nachhaltigkeit im Umgang mit den limitierten Ressourcen unseres Planeten ist. Denn ca. 30 % des CO2-Fußabdrucks und 90 % der stofflichen Ressourcennutzung werden durch Gebäude verursacht. Diesen Hebel zu nutzen und den Ressourceneinsatz und die Materialwahl bewusst zu optimieren, ist die zwingende Verpflichtung aller Beteiligten!
Unternehmen auf den verschiedensten Wertschöpfungsstufen bieten und nutzen digitale Lösungen die vor wenigen Jahren noch als utopische Science-Fiction galten:
- Künstliche Intelligenz kreiert und parametrisiert alternative Raumkörper für ganze Quartierentwicklungen, welche zugleich im Hinblick auf Mikro-Klima, Windgeschwindigkeiten, Beschattung und Nutzungseffizienz simuliert und bewertet werden.
- Digital hinterlegte modulare Bauelemente und Konfiguratoren lassen in bis dato kaum vorstellbarer Geschwindigkeit und Detaillierung die ausführungsnahe Planung von Objekten zu.
- Daten aus dem zentralen Planungsmodell steuern die Vorkonfektionierung und JIT-Belieferung ganzer Module auf die Baustelle.
- Raumklima- und Belichtungssimulationen optimieren frühzeitig das Wohlbefinden der Nutzer und den Energieaufwand für das spezifische Wohlfühlklima.
- Der Klima-Fußabdruck und der Energieaufwand von Baustoffen und Komponenten werden im digitalen Planungsmodell in BIM hinterlegt und die Materialwahl dahingehend optimiert.
Am Beispiel des letzten Punktes wird klar, dass Hersteller, die diese Daten nicht mal zur Verfügung stellen können, zukünftig nicht mehr berücksichtigt werden. Sie sind nicht mehr im relevant set! Markterfolg gelingt durch Differenzierung.
Nachhaltigkeit, Total Cost of Ownership und Life Cycle Value sind heute bereits wichtige Kriterien, nach denen private Bauherren und insbesondere auch renditeorientierte Investoren Entscheidungen treffen. In Zukunft werden es die zentralen Kriterien sein, denn wir können es uns einfach nicht leisten, sowohl kurz- (Besteuerung nach Fußabdruck) als auch langfristig (Kosten der Klimakatastrophe) diese Parameter zu ignorieren. Diese Revolution anzunehmen, zu gestalten, sie als Chance der Weiterentwicklung und als Beitrag zur Rettung unserer Lebensumstände zu begreifen, ist die Verpflichtung, der alle an der Wertschöpfungskette Bau Beteiligten nachkommen müssen.