Immer wieder werden Fragen diskutiert, wie ein Standort tatsächlich entwickelt werden und welche Aufgaben dieser im Gesamtunternehmen erfüllen soll. Dabei werden einige sehr große Fehler gemacht, die sich mittel- bis langfristig auswirken. In der Praxis passiert es häufig, dass man lediglich auf Kennzahlen schaut und dabei die tatsächlichen Umstände vor Ort vergisst. Versuchen Sie mal ein Werk in Stuttgart mit einem Standort in Mumbai zu vergleichen. Das mag im ERP-Programm möglich sein, bildet allerdings die Realität nicht im Geringsten ab. Auch werden gerne neue Greenfield-Standorte mit Brownfield-Strukturen in einen Hut geworfen – das führt bei Werksassessments und internem Benchmarking gerne zu Frust der lokalen Führungsmannschaften. Dann werden Standorte mit teils langer Historie genauso behandelt wie Standorte, die es noch nicht lange gibt. Dieser Aspekt ist besonders wichtig, wenn es um die Identifikation der Mitarbeitenden mit dem jeweiligen Unternehmen geht. Zudem wird der Kundenbezug oft ausgeblendet, weil man lediglich Effizienzkennzahlen verbessern möchte. So wird zum Beispiel die Auslastung eines Standorts maximiert, ohne dabei die resultierenden Konsequenzen bezüglich Lieferkette und Bestände bei der Kundenversorgung vollständig mitzudenken.
Häufig werden auch kurzfristige, profitgetriebene Entscheidungen umgesetzt, ohne dabei die langfristigen Auswirkungen auf die gesamte Prozesskette in einer entsprechenden Strategie zu berücksichtigen. Um langfristig als Gesamtunternehmen erfolgreich zu sein, ist es oft sinnvoll, einen akzeptablen Mehraufwand zu akzeptieren, wenn dadurch das gesamte System besser wird.
Die Interaktion verschiedener Standorte ist in vielen Fällen von großer Relevanz um Kundenerwartungen zu erfüllen. Einzelne Standorte dürfen nicht als autarke Silos innerhalb eines Unternehmens betrachtet werden.
Je größer, desto wichtiger
Je größer und internationaler eine Organisation aufgestellt ist, desto wichtiger ist eine eindeutige Identität der jeweiligen Standorte sowie der Schnittstellen zwischen ihnen. Die Kundenzufriedenheit, welche primär durch Qualität und Liefertreue der angebotenen Produkte und Dienstleistung bestimmt wird, hängt von der
Stabilität in der Gesamtkette ab und diese wird immer durch das schwächste Glied beschränkt.
Aber auch kleine Organisationen, in denen viele Dinge schneller und unkomplizierter gelöst werden können, müssen sich über die Identität der jeweiligen Standorte im Klaren sein. Hat man die Fragen nach Wechselwirkungen und Identität nicht klar geregelt, verbleibt man im Feuerlösch-Modus und dieser kostet immer weit mehr Zeit und Ressourcen und verursacht damit mehr Kosten als ein stabiler Prozess.
Es spricht aber auch nichts dagegen, für kleine Organisationen mit nur einem Standort ebenso derartige Überlegungen, wie sie das OPC formuliert, anzuwenden. Die Anzahl der Wechselwirkungen sowie Schnittstellen ist nur entsprechend kleiner.
Branchenunabhängig, Name egal
Der Name »Overall-Plant-Concept« (OPC) kommt aus dem Bereich produzierender Unternehmen, da ich diesen Weg vormals primär bei produzierenden Strukturen angewendet habe. Der Name ist geblieben, aber dennoch kann diese Logik analog auch für jede andere Branche – sei es der Finanzsektor oder auch öffentliche Behörden – angewendet werden. Alle Organisationen haben eine externe Gruppe von Stakeholdern (zum Beispiel als »Kunden« bezeichnet), für die man Produkte oder Dienstleistungen anbietet. Dabei kommt es oft vor, dass je nach Größe der Organisation verschiedene Standorte mit unterschiedlichen Aufgaben beteiligt sind. Folglich sollten die Schnittstellen bekannt und definiert sein, um die bereits oben genannten Fehler zu vermeiden und Verbesserungen voranzutreiben, die in eine gemeinsame Richtung gehen. Ein Schiff kann auch nur Kurs halten, wenn die Besatzung genau weiß, wer welche Aufgaben hat und der Kurs klar ist.
Schritt für Schritt
In dieser Serie möchte ich einen möglichen Weg vorstellen, wie man jeden einzelnen Standort in einem schrittweisen Prozess entwickeln kann, damit jeweils die Identität, die Schnittstellen zu anderen Standorten oder externen Instanzen, wie Kunden und Lieferanten, sowie strategische Besonderheiten der Weiterentwicklung klar sind. Darüber hinaus muss ein Entwicklungsplan hergeleitet werden, damit die angestrebten Zustände auch tatsächlich umgesetzt werden. Denn schließlich ist das beste Konzept wertlos, wenn es nicht den Weg in die tatsächliche Umsetzung findet.
Damit das gelingen kann, braucht es aber ein paar Rahmenbedingungen:
- Eine Vorstellung einer unternehmensweiten Strategie und idealerweise auch eine Vision. Die Standorte können zwar unterschiedlich sein und unterschiedliche Lösungen finden, sie müssen aber zusammenpassen. Wie in einer Rockband auch jede*r ein anderes Instrument spielt, aber am Ende die einzelnen Soundelemente durch die Komposition zusammenklingen, so verhält es sich mit der Unternehmensstrategie und den einzelnen Standorten.
- Ein klares Bekenntnis der Führungsmannschaft zu dem Entwicklungsweg und der anschließenden Umsetzung.
- Zeitliche Verfügbarkeit aller Personen, die für die Entwicklung und die anschließende Umsetzung nötig sind. Jede Verbesserungsarbeit ist Aufwand und braucht Zeit.
Menschen mitnehmen
Am Ende eines OPC steht ein Gesamtbild, dass man auch dazu verwenden kann, der ganzen Belegschaft den Weg der Verbesserung zu erklären. Veränderungen sind für viele Menschen zunächst negativ behaftet. Um ihnen die Sorgen zu nehmen, braucht es nachvollziehbare Überlegungen. Damit ist ein OPC nicht nur ein verbindliches Dokument für die lokale Strategie und ein Plan zur Weiterentwicklung für die nächsten Jahre, es dient auch dazu, alle beteiligten Menschen zu informieren, um sie so für den Weg der Veränderung zu begeistern und mitnehmen zu können. Alle Führungskräfte sprechen damit die gleiche Sprache und man vermeidet unnötige Widersprüche.
In diesem ersten Teil haben wir einleitend besprochen, was die Rahmenbedingungen sind und wozu so ein Overall-Plant-Concept gut ist. Im zweiten Teil (Link) erfahren Sie die ersten Schritte, wie man bei einem OPC vorgehen kann.
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Buchtipp
Weitere Anregungen, wie man Unternehmen langfristig erfolgreich entwickelt, finden Sie in dem Fachbuch »Das Wasserfall-Paradoxon«. Überall im Buchhandel und Online als Print und E-Book erhältlich. www.buchingerkuduz.com/de/medien/wasserfallparadoxon