Das neue Jahr ist bereits einige Wochen alt, hat aber noch rund 48 intensive Wochen vor sich. Für Österreich noch intensiver als für so manch andere EU-Länder. Denn ab Juli sind »wir« Präsident. Ein guter Grund, optimistisch in das Jahr 2018 zu gehen.
In meiner letzten Kolumne zeigte ich eine mögliche Rolle für Österreich im Jahr seiner EU-Präsidentschaft und darüber hinaus auf. Nämlich durch den Rückzug Großbritanniens als Mittler zwischen Deutschland und Frankreich und zwischen West- und Osteuropa. Den Reisedestinationen Paris und Berlin sowie den Botschaften des Bundeskanzlers nach zu urteilen, soll sich Österreich tatsächlich als »Brückenbauer« positionieren.
Jedenfalls ist die Theorie bzw. Befürchtung einiger, Österreich könne sich der Visegrad-Gruppe anschließen, abwegig und wird von seriösen Beobachtern in Brüssel auch nicht geteilt. Denn in fast allen für Österreich wichtigen Fragen existieren hier beinahe diametrale Interessen:
Kernkraft ist eine wichtige Energiequelle für Staaten wie Tschechien, Slowakei oder Ungarn – Österreich bekanntlich ein scharfer Gegner der Atomkraft. Österreich ist Nettozahler – die Visegrád-Länder allesamt Nettoempfänger; spannende Aussichten hinsichtlich des nächsten EU-Budgets. Die Bundesregierung will die Familienbeihilfe für EU-Familienangehörige anpassen – die CEE-Staaten wären davon die Hauptbetroffenen. Diese Liste ließe sich noch weiterführen.
Einzig in der Frage der verpflichtenden Quote zur Aufnahme von Flüchtlingen gibt es überlappende Interessen – so wie mit vielen anderen west- oder nordeuropäischen Staaten, muss hier hinzugefügt werden.
Richtig spannend werden die nächsten Wochen und Monate bezüglich Deutschlands Rolle in der EU. Mit jeder Woche, in der es Angela Merkel nicht schafft, eine stabile Regierung zu formen, schwindet ein kleines Stück Deutschlands lange unwidersprochener Dominanz in Europa. Das gilt umso mehr durch den Auftritt des macht- und selbstbewussten Emanuel Macron auf der politischen Bühne, wenngleich er weiß, dass er Deutschland braucht, um den von ihm angestoßenen Umbau Europas anzugehen.
Es geht ums Geld – und die Wahlen
2018 werden wir jedenfalls erleben, dass Österreich aktiv für eigene Interessen auf EU-Ebene eintreten wird, so wie es andere Länder schon lange machen – Großbritannien war darin immer besonders motiviert.
Nicht nur hinsichtlich der Rolle auf europäischer Ebene scheinen die (pre-Brexit) Briten ein Vorbild zu sein. In vielen politischen Ansichten und politischen Ankündigungen seitens der ÖVP erkennt man den britischen Liberalismus nach Lesart der Tories wieder.
Mit dem Jahr 2018 beginnt auch das letzte volllegislative Jahr der Kommission unter Juncker. Das heißt, alles, was bis Dezember 2018 nicht in trockenen Tüchern liegt, hat nur noch geringe Chancen, legislativ das Ende des Tunnels zu erreichen. Es stehen daher allen Beteiligten wie Kommissaren, Europaabgeordneten, Lobbyisten usw. intensive zwölf Monate bevor, sicherzustellen, dass »ihre« Dossiers fertig ausgehandelt werden – oder auch nicht, je nach Interessenslage.
In der zweiten Jahreshälfte werden auch die Europawahlen zunehmend erste Schatten vorauswerfen. Denn es gilt dann zu klären, ob es wieder europaweite Spitzenkandidaten geben wird (wahrscheinlich ja) und wer dies sein soll.
Eines der zentralen Themen für Österreichs Vorsitz neben dem zu finalisierenden »Brexit« werden sicherlich – wie oben bereits angedeutet – die Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen sein, den ersten dann ohne den großen Nettozahler UK. Hier können wir uns schon jetzt auf ein großes Hauen und Stechen »freuen«, denn wie heißt es so schön: Beim Geld hört die Freundschaft auf, auf Europa umgelegt heißt das: die Solidarität.
Sechs Monate Ruhm – und dann?
Die Ratspräsidentschaft könnte ein wenig zum Hemmschuh für Österreichs Vorhaben werden, der Debatte seinen Stempel aufzudrücken oder gar seine Interessen allzu aktiv zu vertreten. Denn von einem Vorsitzland wird gemeinhin erwartet, dass es primär als »honest broker«, also »ehrlicher Mittler« denn als aktiver Lobbyist eigener Interessen auftritt.
Fast relevanter als die sechs Monate während der Präsidentschaft sind für Österreich die zwei Jahre nach dieser Periode. Denn mit einem erfolgreichen Vorsitz erarbeitet man sich ein hohes Standing innerhalb der anderen Mitgliedstaaten und baut sich in der Zeit ein wertvolles Netzwerk wichtiger Kontakte auf.
Von diesem kann und muss Österreich profitieren, wenn es um die Neugestaltung und die Vergabe wichtiger Positionen nach der Europawahl 2019 gehen wird.