Wie muss der perfekte Song aufgebaut sein, so dass dieser sicher zum Hit wird? Diese Frage beschäftigt viele seit Jahrzehnten – und ist bis heute unbeantwortet. In der Wirtschaft ist es ähnlich.
Menschen, die Musik machen, gelten gemeinhin als Chaoten. Da ich neben meiner Arbeit im Bereich der Veränderungsentwicklung von Organisationen auch ein Tonstudio betreibe und es mit internationalen KünstlerInnen aus der Musikszene zu tun habe, kann ich dieses Vorurteil in weiten Teilen bestätigen. Aber man kann viel von MusikerInnen lernen, wenn es darum geht, als Unternehmen zukunftsfähig zu sein.
Zufällige Genialität
Sicher kennen Sie alle einige Songs, die weltbekannt sind. Oft reicht nur eine bestimmte Harmonie oder ein paar Takte und man weiß, um welchen Song und welche InterpretIn es sich handelt. Aber wie entwickelt man solche einprägsamen Ideen? Es ist nichts anderes als ein kreativer Entwicklungsprozess, der im Proberaum entsteht, wenn MusikerInnen gemeinsam intuitiv – aufeinander hörend und interagierend – etwas ausprobieren.
MusikexpertInnen versuchen danach zu interpretieren, was die Leute bewegt haben könnte und wie sie zu einer so genialen Idee gekommen sind. Aber die Antwort ist meist viel trivialer, als einem lieb ist: Sie haben es einfach ausprobiert und stellten irgendwann fest, dass es cool klingt. Das war etwa beim Song »Stairway To Heaven« der britischen Rockband Led Zeppelin der Fall.
Die Suche nach der Hit-Formel
Wie muss der perfekte Song aufgebaut sein, so dass dieser sicher zum Hit wird? Wie entwickelt man einzigartige Werke? Diese Fragen beschäftigen viele seit Jahrzehnten – und sind bis heute unbeantwortet. In der Wirtschaft ist es ähnlich: Auch hier versucht eine Armada von WirtschaftswissenschaftlerInnen und UnternehmensberaterInnen die einzig wahre Erfolgsformel zu finden und verkauft ihre Erkenntnisse, auch wenn manche nachweislich Unsinn sind. So wurde in den letzten Jahrzehnten eine Vielzahl an vermeintlich wundersamen Ideen präsentiert: Lean, Change Management, Agilität, Kata oder New Work. Dazu gesellen sich technologiegetriebene Wundermittel wie Digitalisierung, Industrie 4.0, IoT und vieles mehr. Alle Ansätze können Richtiges beinhalten, auch wenn das meiste nicht neu ist. Vieles ist nur anders verpackt und damit bestenfalls Beratermarketing. Aber eines können alle Ideen niemals leisten: Die einzig wahre Hitformel für erfolgreiche Unternehmen zu sein.
Trial and error
Bevor man etwas versucht, weiß man nicht, ob es funktioniert. Diese alte Weisheit der experimentellen Naturwissenschaften bringt es auf den Punkt. Sie gilt auch für MusikerInnen und zeichnet innovative und veränderungsfähige Unternehmen aus.
Wir kennen Songs und Alben von erfolgreichen Rockbands, die Meilensteine geworden sind. Aber wir kennen nicht all die vielen Versuche, die im Proberaum geblieben sind, weil sie für nicht gut befunden wurden.
Wie testet man Ideen? Wie es bei der Musik funktioniert, ist naheliegend. Man spielt den Song auf einem Live-Gig und sieht dabei die Reaktion des Publikums. Oder, und das war früher etwas aufwändiger, man veröffentlicht eine Single und schaut, wie gut diese von Radiostationen und HörerInnen angenommen wird. Und wie funktioniert das bei Unternehmen? Genauso. Man bringt ein Produkt oder eine Dienstleistung auf den Markt – zu Beginn vielleicht nur zielgerichtet an einen ausgewählten Kundenkreis – und schaut sich an, wie die Reaktionen sind. Kommt das Produkt oder die Dienstleistung gut an? Was kann man besser machen? Um diese Fragen zu beantworten, muss eine Idee noch nicht fertig sein. Und diese Ansätze gibt es bereits – Unternehmen, die das tun, was man gerne als »agile Produktentwicklung« bezeichnet, handeln genauso wie Rockbands in ihren Proberäumen.
Sie spielen ihre Ideen beim nächsten Gig, indem sie so genannten »Minimum Viable Products« (MVP) oder »Minimum Marketable Products« (MMP) rausbringen und sich Rückmeldungen von den KundInnen holen. Viele dieser Unternehmen handeln schon lange so und nennen es mitunter nicht »agil«. Sie setzen es einfach um und ein solches Handeln ist Teil ihrer Kultur. Aber diese Kultur ist stets unterschiedlich und es gibt keinen eindeutigen Weg.
Kapieren statt kopieren
Es gibt aktuell viele Veröffentlichungen, die versuchen eine sinnlose Frage zu beantworten: Was muss man tun, um wie Elon Musk oder Jeff Bezos zu handeln? Dieser Ansatz ist vergleichbar mit dem sinnlosen Bestreben, beim Musizieren zu kopieren anstatt den eigenen Stil zu entwickeln. Bei aller auch berechtigter Kritik haben diese Menschen, zu denen auch Steve Jobs oder in noch früherer Zeit Pioniere wie Werner von Siemens oder Robert Bosch zählten, eine Vision: Eine Idee, für die sie brennen und für die sie auch oft belächelt wurden.
Aber all diese Pioniere waren und sind gute »Musiker« mit einem Gefühl, was rauskommen kann. Sie wissen allerdings noch nicht, wie es am Ende tatsächlich wird. Sie umgeben sich mit WeggefährtInnen, ihren »BandkollegInnen«, und fangen an zu »jammen«, wie man im Musiker-Slang sagt. Sie probieren gemeinsam etwas aus und entwickeln ihre Ideen weiter. Eine Menge davon wird auch wieder verworfen, aber einiges hat den Weg in das Leben vieler Menschen auf der Welt gefunden und heute gelten sie als Wegbereiter und Pioniere.
Unsicherheit? Klar, her damit!
Woher weiß man, ob eine Idee wirklich erfolgreich ist? Es gibt den Drang, alles vorher genau zu planen um daraus einen »Business-Case« abzuleiten, aus dem man weiß, wann sich eine Idee wie rechnet. Und diese Rechnung wird es in einem innovationsgetriebenen Unternehmen genauso wenig geben wie bei einer Band, die einen Song oder ein Album veröffentlicht. Man weiß es erst, wenn man es versucht hat. Es gibt Rahmenbedingungen und Freiraum – zeitlich, räumlich und auch monetär.
Die typischen BWL-Mechanismen getrieben von Effizienz und Profitkalkulation versagen hier gänzlich. Man muss nicht das ganze Unternehmen neu denken, sondern es hilft bereits, einen Teil neu zu entwickeln. Investitionen in neue, zukunftsweisende Ideen kosten Geld und sind nicht effizient. Aber sie sind effektiv und gerade in einer von schnellem Wandel getriebenen Zeit eine Voraussetzung, um als Unternehmen längerfristig zu überleben.
Fazit
Die beste Methodik, die besten Werkzeuge und die beste Ausbildung sind wertlos, wenn man nicht in der Lage ist, Wertesystem, Visionen und Überzeugungen mittels Intuition, Sachverstand, aber auch dem Begegnen der Ungewissheit real werden zu lassen. Das zeichnet hervorragende Führungskräfte und UnternehmerInnen aus. MusikerInnen aus der ganzen Welt zeigen uns in ihrer kreativen Arbeit, wie es gehen kann. Der großartige Jazz-Musiker Joe Zawinul sagte mal völlig treffend: »Ein Instrument ist nicht wichtig. Die Art, wie jemand das Instrument spielt, ist entscheidend.«
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