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Nachbericht „Vernetzte Wirtschaft: Kooperation statt Wettbewerb?“
Fotos: Milena Krobath/Report Verlag

„Urban Production“ und die Formen erfolgreicher Zusammenarbeit: Wie Technologie Kooperationen rund um die Fabrik der Zukunft und neue Services antreibt. Das Report-Publikumsgespräch zu Erfolgsbeispielen und Standortkonzepten für Mensch und Wirtschaft – darunter aspern Seestadt.

Die Themen Kooperation und Vernetzung in der Fertigung und in Technologiebereichen standen im Fokus eines Publikumsgesprächs des Report Verlag am 20. November in der „aspern Seestadt“ in Wien. Gastgeber und Partner des Talks im Technologiezentrum Seestadt waren die Entwicklungsagentur Wien 3420 und Atos Österreich.

Fotos: www.flickr.com/photos/award2008/sets/72157711871982613/

Video: www.youtube.com/watch?v=sqMtaeRK7jY
 
Am Podium:

Rahel Falk
, interimistische Direktorin Co-Location Centers East der Initiative EIT-Manufacturing (Europäisches Institut für Innovation und Technologie), Senior Scientist TU Wien

Gerhard Schuster, Vorstandsvorsitzender Wien 3420 aspern Development AG

Günter Koinegg, Head of Big Data & Security Atos Österreich und CEE

Nils Berger, CEO und Eigentümer viewpointsystem gmbh



Bild: Gerhard Schuster, Vorstandsvorsitzender Wien 3420 aspern Development AG

Report: Welche Dynamik sehen Sie am Standort aspern Seestadt für Menschen und Wirtschaft? Welche Rolle spielt Vernetzung dabei?

Gerhard Schuster: Sowohl Kooperation und Vernetzung als auch Wettbewerb sind wichtige Treiber für die Wirtschaft. Beide sind wesentliche Säulen eines Wirtschaftsstandorts der Zukunft wie aspern Seestadt. Dieser braucht viele Dinge: eine smarte Infrastruktur, vernetzte Produktion und IoT-Anwendungen, innovative Technologie-Unternehmen als Kooperationspartner, die auch Expertinnen und Experten anziehen, aber auch Faktoren wie leistbares Wohnen und ein kulturelles Angebot für die Menschen, die hier leben und arbeiten. Von der hervorragenden Verkehrsanbindung etwa wissen auch die bereits fast 1.000 StudentInnen, die in der Seestadt wohnen. Mit der U2 ist direkt jede der drei großen Universitäten in Wien erreichbar. Wir können bereits sehen, wie die ersten Ankerbetriebe aus der Wirtschaft, die sich hier angesiedelt haben, weitere mittlere und kleinere Unternehmen und Kooperationspartner anziehen.

Report: Was bietet Wien 3420 speziell für die Unternehmen – und wie gehen Sie das Thema Vernetzung strategisch an?

Gerhard Schuster: Prinzipiell setzen wir auf die Durchmischung wirtschaftlicher und gesellschaftlich wichtiger Faktoren: Moderne Büro- und Produktionsumgebungen, das Wohlfühlen vor Ort, und eine wachsende Community von produzierenden Unternehmen, innovativen Entwicklern, Gebäudebetreibern und Dienstleistern. Wir sind überzeugt, dass wir ein ideales Umfeld für Visionäre bieten, die Lösungen suchen und mit Prototyping und Tests den Weg in Richtung Markt einschlagen wollen. Hier können wir jedes Jahr mehr Gebäude zur Verfügung stellen, um zum Beispiel das Entwickeln und Ausprobieren von Digital Building Solutions zu unterstützen. Dann gibt es hier auch die Partner, die finanzielle Unterstützung für diese kleinen Schritte bieten oder die auch ihr Netzwerk offenlegen, um Kooperationen anzutreiben. Diese sind essenziell für Know-how, das vielleicht in einem Spezialbereich fehlt, oder für die Produktion von Komponenten für ein Produkt. Natürlich ist es eine besondere Herausforderung, dieses Wissen zugänglich zu machen. Hier wird man nicht nur die persönliche Vernetzung etwa mit Veranstaltungen fördern müssen, wie wir es aktiv betreiben – beispielsweise mit einem Stammtisch für Unternehmerinnen und Unternehmen –, sondern auch mit digitalen Plattformen. Wir haben mittlerweile ein gutes Gespür und entsprechende Erfahrungen hinsichtlich der technologischen, baulichen und atmosphärischen Rahmenbedingungen, die Unternehmen und Menschen benötigen.



Bild: Rahel Falk, interimistische Direktorin Co-Location Centers East der Initiative EIT-Manufacturing (Europäisches Institut für Innovation und Technologie), Senior Scientist TU Wien

Report: Was steckt hinter der Initiative European Institute of Technology? Was wollen Sie mit den Co-Location-Centers erreichen?

Rahel Falk:
Europa ist forschungsstark, wir machen aber unsere Forschungsleistungen noch nicht in dem Maße nutzbar und marktreif, wie es möglich wäre. Damit sich das ändert, müssen wir unterschiedlichste Akteure zusammenbringen. Als Agentur der Europäischen Kommission hat sich das EIT vor zehn Jahren zur Aufgabe gemacht, AkteurInnen aus der Bildung, Wirtschaft und Forschung in verschiedenen Communities zu vernetzen. Nach Themenbereichen wie Klimawandel, Gesundheit, Energie und Urban Mobility wurde im Dezember 2018 „EIT Manufacturing“ gegründet, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Fertigungsindustrie gegenüber anderen Ländern – vor allem USA und China – zu stärken. Wir brauchen im globalen Wettbewerb mit den erwähnten Regionen gerade auch die Kooperation der wichtigsten und besten Player in Europa! Damit diese Strategie regional verankert ist, gibt es fünf regionale Zentren – Co-Location-Centers genannt. Das CLC East wird in Wien von der TU Wien aufgesetzt und diese Region reicht von Tschechien bis nach Zypern.

Report: Welche Gründe haben für den Standort Aspern gesprochen?

Rahel Falk:
Es sind mehrere Faktoren. Zunächst einmal ist das CLC die regionale Anlaufstelle für die süd-östlich gelegenen Partner, inklusive des gesamten Balkans, der östlich von Wien beginnt. Zweitens die hervorragende Verkehrsanbindung mit der U-Bahn und ein im Unterschied zu anderen Großstädten relativ leicht erreichbarer Flughafen. Dann ist es vor allem die Pilotfabrik der TU Wien hier, mit der wir Unternehmen und den Menschen die Zukunft der Produktion demonstrieren  und vor allem auch erlebbar machen wollen. Schließlich sind es die vielen innovativen Nachbarn, die man hier findet: von den Großen wie Atos bis zu kleinen Startups und Unternehmen wie viewpointsystem. Das Technologiezentrum an diesem Standort bietet viel freien Raum – genau das brauchen wir.

Report: Welchen Zusammenhang sehen Sie bei technologischen Entwicklungen - etwa zur vernetzten Produktion - und der Weiterentwicklung von Unternehmens- und Wirtschaftsmodellen? Gibt es eine Korrelation?

Rahel Falk:
Technologie hat immer schon Gesellschaften ebenso wie Produktionsbedingungen verändert – seit Anfang der Zeit. Die Steinzeit beispielsweise ist ja nicht an einem Mangel an Steinen zu Ende gegangen, sondern weil der Mensch bessere Werkzeuge als den Faustkeil erfunden hat, mit denen dann auch andere Güter hergestellt werden konnten - nicht zuletzt neue Kommunikationsmittel.

Die IKT von heute verbessert die Möglichkeiten von globalen Kooperationen, die wiederum Herausforderungen bei Themen wie Vertrauen und Qualität mit sich bringen. Ein Standort wie aspern Seestadt bietet mit Anlagen vor Ort eine physische Präsenz der Fertigungsindustrie. Die Pilotfabrik und die weiteren Labore hier sind insbesondere für KMU wertvoll, da diese üblicherweise nicht ohne weiters bei den großen Fertigungsunternehmen ihre Ideen ausprobieren können. Es ähnelt vom Ansatz her ein bisschen der Maker-Szene, allerdings auf einer anderen, industriellen Ebene. Auch die Initiative EIT Manufacturing hat definitiv Innovation im Übergang auf den letzten Metern zur Markteinführung im Fokus.

Große Technologiestandorte wie Silicon Valley oder auch Israel zeichnen sich durch Offenheit und Vielfalt aus. Während man in Österreich offiziell eine Vernetzungsanfrage im Business-Umfeld stellen muss, ist es anderswo das Selbstverständlichste, gute Leute miteinander zu vernetzen – auch wenn man selbst nicht unmittelbar daran etwas verdient. Vernetzung von Kontakten wird viel langfristiger gesehen und in diesem Sinne ist auch die Vernetzungsinitiative EIT Manufacturing zu sehen.



Bild: Günter Koinegg, Head of Big Data & Security Atos Österreich und CEE

Report: Welche Schwerpunkte hat Atos in der Seestadt? Worum geht es beim Competence Center für Industrie 4.0?

Günter Koinegg: Wir haben uns bereits 2016 für die Seestadt entschieden und zwei Themen für die Region Zentral- und Südosteuropa platziert: Zum einen wollten wir einen Standort für unsere Kunden bieten, an dem wir losgelöst vom Alltag über Innovation diskutieren können. In der offenen Umgebung unseres „Business Technology and Innovation Center“ probieren und testen wir in Workshops gemeinsam mit unseren Kunden und Partnern neue Themen aus. Dann unterstützen wir mit unseren Dienstleistungen und Services die Pilotfabrik der TU Wien und knüpfen hier mit unserem IoT- und Industrie-4.0-Competence-Center für die Region CEE an. An diesem Standort werden Innovationen geschaffen und Produkte für den Markt aufbereitet. Ein großes Ziel ist auch, die Entwicklung von Industrieprodukten sowie Security-Themen wieder zurück nach Österreich zu bringen. Das geschieht immer über ein Netzwerk gemeinsam mit der öffentlichen Hand, mit Startups und mit Universitäten.

Report: Haben Sie ein Beispiel, wie der Einsatz von Technologie unsere Wirtschaft und Gesellschaft verändern wird?

Günter Koinegg:
Technologie verändert unsere Gesellschaft heute schon intensiv. Wir zeigen – um ein Beispiel aus dem täglichen Leben zu nehmen – smarte Kühlschränke, die gemeinsam mit Coca-Cola Hellenic Bottling entwickelt wurden. Die Daten, an welchen Standorten welche Getränke nachgefragt werden, werden direkt in die Lieferkette bei Coca-Cola gespeist. Das ermöglicht ressourcenschonende und effizientere Lieferwege und Logistik.

Report: Wie sehen Sie das Thema Vernetzung und Kooperation über Unternehmensgrenzen hinweg? Warum ist es gerade in den Bereichen Entwicklung sowie Innovationen wichtig?

Günter Koinegg: Wir leben in einer schnelllebigen Zeit und sehen, dass große Schiffe wie Atos mit 120.000 MitarbeiterInnen eine Kurve etwas langsamer als ein schnelles, kleines Motorboot nehmen müssen. Enorm wichtig ist aber die Kommunikation zwischen diesen Booten – ein aufeinander Hören und voneinander Lernen auf Augenhöhe. Dieser gleiche Level des partnerschaftlichen Status ist in Kooperationen aber zum Beispiel auch mit gemeinsamen Neugründungen möglich. Wir selbst haben vor gut einem Jahr gemeinsam mit dem Startup Smart Digital ein Joint-Venture gegründet, damit eben der kleine Partner nicht im Großen untergeht. Die Bündelung unserer Kompetenzen mit den Kompetenzen eines Startups ermöglicht, Neues zu schaffen. Ich ermutige alle, Kooperationen zu suchen – mit großen und kleinen Unternehmen aber auch mit der öffentlichen Hand. Auch Gemeinden und andere öffentliche Organisationen sind auf der Suche nach neuen innovativen Lösungen.



Bild: Nils Berger, CEO und Eigentümer viewpointsystem gmbh

Report: Wie wichtig sind Kooperationen und die Zusammenarbeit über die Unternehmensgrenzen hinaus für Startups wie viewpointsystem? In welchem Kontext sehen Sie dazu Ihr Unternehmen?

Nils Berger:
Ohne Kooperationen würden wir es gar nicht schaffen. Wir haben uns auf Eye-Tracking-Brillen spezialisiert und arbeiten uns seit gut drei Jahren über Prototypen schrittweise zum fertigen Produkt hin. Wir haben schnell realisiert, dass es gar keine für unsere Zwecke geeigneten Komponenten am Markt gibt und wir beispielsweise unsere eigenen Leiterplatten entwickeln müssen. Dafür wollten wir aber nicht nach Asien gehen, sondern, so gut es geht, Hersteller mit dem Auto oder Zug erreichen können. Doch sind in diesem Markt gute Kooperationen dünn gesät. Die großen Hersteller haben Apple oder Samsung als Kunden – als kleines Unternehmen hat man es prinzipiell schwierig. Hier haben wir das Glück, namhafte Partner gefunden zu haben, die an uns glauben und uns in der Produktion unterstützen, indem sie etwa nicht Unsummen für Prototypen verlangen – und dazu auch ein führendes Leiterplatten-Fertigungsunternehmen in Österreich zu haben.

Report: Aus welchen Gründen haben Sie den Standort Wien und seit kurzem auch Aspern gewählt?

Nils Berger:
Wir sind aus der Wiener Innenstadt hergezogen und wollten auf keinen Fall nur in ein aufgelassenes Industriegebäude. Wir hatten gewisse Ansprüche und suchten ein State-of-the-art-Produktionsumfeld. Viewpointsystem hat bereits eine Leuchtkraft am Markt, EU-Förderungen und konnte mit Hilfe der Wirtschaftsagentur Wien nun auch diesen neuen Standort erschließen. Wien besitzt in diesem Deep-Tech-Kontext, wie wir es nennen, eine unglaublich hohe Anziehungskraft. Wir haben hier modernste Infrastruktur und Produktionsflächen vorgefunden. Dazu muss man nicht ins Ausland oder in ein anderes Bundesland gehen. Neben den technischen Voraussetzungen und den richtigen Ansprechpartnern zieht Wien auch bei den Menschen. Wir planen, nächstes Jahr 30 weitere MitarbeiterInnen aufzunehmen und haben heute bereits 25 verschiedene Nationalitäten im Unternehmen – das funktioniert in einer wachsenden Stadt, insbesondere einer Universitätsstadt wie Wien, sehr gut.

Report: Welche Herausforderungen sehen Sie prinzipiell auch bei Kooperationen mit Universitäten?

Nils Berger:
Anfangs in der Forschung und Entwicklung eines Produkts ist sicherlich der Input von Universitäten wichtig. Im Bereich Deep Tech sehe ich langfristig aber Interessenskonflikte. Jede Universität möchte natürlich publizieren und Forschungsergebnisse nach außen tragen, teilweise sind auch die Verträge für Kooperationen und Non-Disclosure-Agreements wahnsinnig umfangreich. Trotzdem gibt es Zusammenarbeit mit Instituten, die viel Verständnis für Partner aus der Wirtschaft aufbringen.



Bild: Christoph Pollak hat als Geschäftsführer das Center for Digital Production (CDP) in Aspern zu einer der führenden Forschungs- und Entwicklungsplattformen im Bereich flexible Fertigungsautomatisierung und digitale Produktionsnetzwerke aufgebaut – gemeinsam mit Partnern aus der Wirtschaft wie Hoerbiger. „COMET Competence Center wie das CDP sind genau dafür konzipiert, die Zusammenarbeit mit Unternehmen zu erleichtern. Sie sind eine hervorragende Methode auch mit Förderungen neue Unternehmen, Produkte und Services zu starten.“

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