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"Wir wollen eine gemeinsame Sprache finden" Featured

Alois Reitbauer, Dynatrace, hilft mit neuen  Technologien die wachsende  Komplexität in der IT in den Griff zu bekommen. Foto: Thomsen Photography Alois Reitbauer, Dynatrace, hilft mit neuen Technologien die wachsende Komplexität in der IT in den Griff zu bekommen. Foto: Thomsen Photography

Standardisierung von Cloud-Infrastruktur und selbstheilende IT: Das Linzer Softwareunternehmen Dynatrace erforscht und entwickelt Technologien für künftige Softwaregenerationen.

Wäre Dynatrace in einer anderen Sparte als in der IT tätig, würden bei einem Umsatz von 487 Mio. Dollar, der zuletzt im Jahr 2020 erzielt wurde, viele das Linzer Unicorn gut kennen. In wenigen Jahren vom Software-Startup zu einem Weltkonzern gemausert, ist das österreichisch-amerikanische Unternehmen mit Headquarter in Massachusetts und Forschungszentrum Linz federführend im Bereich des »Application Perfomance Monitoring«. Die Produkte sorgen für die Optimierung von IT-Prozessen und sind damit so etwas wie das Kleinhirn für die Digitalisierung von Unternehmen sämtlicher Branchen.

»Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Einzelhändler und während des Cyber Monday stürzt Ihre mobile App oder Website ab. Was würden Sie tun?«, heißt es anlässlich der Bekanntgabe einer Partnerschaft der Österreicher mit SAP und dessen Lösungspalette »Commerce Cloud« im Oktober 2020. Dank Dynatrace-Lösungen wissen Einzelhändler sehr genau, was in ihrer IT-Umgebung passiert – wo Probleme bei ihrer Shopping-Plattform auftauchen und wie die Performance einzelner digitalen Services das Geschäftsergebnis beeinflusst.

Alois Reitbauer ist Chief Technology Strategist bei Dynatrace und für Bereiche und Themen zuständig, die nicht sofort in neue Produkte umgewandelt werden. Sie aber zeichnen mittelfristig den Weg des Technologieunternehmens. Dazu gehört das Engagement der Linzer in Open-Source-Software, unterschiedliche Technologiepartnerschaften und auch ein eigener Forschungszweig, den Reitbauer aktuell aufbaut. »Eines der großen Themen in der Software-Community ist das Monitoring und die Überwachung von Softwaresystemen«, erklärt Reitbauer. Mit dem Fachbegriff »Observability« werden Anwendungen und IT-Infrastrukturen auf ihr Funktionieren und die Performance-Qualität in allen Ebenen von IT-Prozessen – vom Server im Rechenzentrum bis zum Arbeitsplatz der Anwender – beobachtet und dokumentiert. Die Linzer sind mit ihren genialen Produkten in ebendiesem Bereich groß geworden. Die Softwareschmiede aus Österreich ist in der IT-Szene weltbekannt, die Werkzeugkiste für Application Performance Monitoring wurde ständig erweitert und umfasst heute auch Diagnoselösungen für Cloud-Umgebung inklusive Features, die mit künstlicher Intelligenz nachvollziehbar machen, wo und vor allem warum Fehler auftauchen.

Im Dezember ist Dynatrace darüber hinaus in den Sicherheitsmarkt für Cloud-Anwendungen eingestiegen und unterstützt Unternehmen dabei, blinde Flecken zu finden und zu beheben. Die Zukunft, sagt Reitbauer, liegt in der Automatisierung: Systeme, die bei Leistungsengpässen von selbst gegensteuern und sich selbstständig reparieren.

Selbstheilende Systeme
Eines der wegweisenden Projekte, die auf Reitbauers Tisch liegen, betrifft Cloud-Infrastrukturen, die sich selbst managen können. In einer Welt der zunehmenden Vernetzung sind dafür allerdings Standards nötig, die über die Produktwelten der einzelnen Marktteilnehmer hinausgehen. Dynatrace ist in dem Projekt »OpenTelemetry« ein willkommener Partner für Microsoft, Google und andere bekannte Namen. »Wir wollen eine gemeinsame Sprache für IT-Prozesse finden – angefangen bei der Art und Weise, wie Monitoring allgemein funktioniert, bis zum sogenannten ›Tracing‹ von Abläufen in riesigen IT-Systemen«, beschreibt er.

Seit Jahren ist Reitbauer auch im internationalen Standardisierungsgremium W3C tätig. Dessen Vorsitzender Tim Berners-Lee ist ein Mitbegründer des World Wide Web. Die Linzer sind weiters als einziges österreichisches Unternehmen an der Cloud Native Computing Foundation (CNCF) beteiligt – Sie hat Technologien wie das Container-Format Kubernetes hervorgebracht. »In dem Projekt Keptn entwickeln wir nun eine Automatisierungsebene für operative IT-Systeme, die auch mit immens großen Datenmengen umgehen kann. Wir bringen die Erfahrung mit unseren eigenen Produkten ein. Denn bei den tausenden Systemen weltweit, in denen unser Performance-Monitoring zugeschaltet ist, geht es nicht mehr ohne Automatisierung«, erklärt er. Ein Credo der CNCF ist, die Ergebnisse ihrer Arbeiten offen und frei dem Markt bereitzustellen – was unter anderem auch den Erfolg bei Kubernetes ausgemacht hat.

Automatisierungswerkzeuge für IT-Infrastruktur gibt es zwar bereits. Was diesen allesamt aber fehlt, ist eine einheitliche Semantik und damit auch Interoperabilität bei einem Wechsel von Systemen oder Cloudumgebungen. In einer weiteren internationalen Zusammenarbeit ist Dynatrace mit Google, Ericsson und anderen in Kontakt, mit dem Ziel, die »Continuous Delivery« von IT-Prozessen sicherzustellen.

Forschungssparte
Mit dem Engagement auch außerhalb der eigenen Firmengrenzen hat man bei Dynatrace vor Jahren begonnen, größer zu denken. »Wir haben mit unserem Produkt eine Komplexität erreicht, die uns ähnlich wie Microsoft oder Google fordert, eigene Basistechnologien zu entwickeln«, beschreibt Reitbauer. Eine Technologie, die mit künstlicher Intelligenz das nachvollziehbare Analysieren und iltern großer Datenmengen über unterschiedliche Strukturen hinweg unterstützt, haben die Linzer »Davis AI« genannt. In der zunehmenden Datenflut würden viele Unternehmen vor der Herausforderung stehen, überhaupt zu erkennen, über welche Daten sie verfügen. »Wenn der Fachbereich hier keine Übersicht hat, wird er auch nicht die richtigen Fragen nach neuen Geschäftsmöglichkeiten stellen können«, ist der Technologiestratege überzeugt und er stellt auch klar: Der Mensch allein wird den Überblick nicht mehr schaffen.

Datengrößen im Exabyte-Bereich (eine Million Terabyte) können mit herkömmlichen Datenbankabfragen nicht mehr zufriedenstellend bewältigt werden. »Als ich bei Dynatrace angefangen habe, waren Projekte mit hundert Servern das Maß aller Dinge. Heute sind Cluster von hunderttausend Geräten normal geworden«, beschreibt der Österreich er, der in Nicht-Covid-Zeiten zu 50 % seiner Zeit im Silicon Valley unterwegs ist, die kaum noch fassbare Wachstumsgeschwindigkeit in der IT allerorts. Mit künftig Millionen Servern als Quellen und unterschiedlichsten Datenformaten besteht die Notwendigkeit, auf Veränderungen in Millisekunden bis zumindest in Zeiträumen von wenigen Minuten zu reagieren. In diesen Dimensionen kommen herkömmliche Analysewerkzeuge an ihre Grenzen. Dabei ist es unerheblich, ob der Einsatzzweck ein Optimieren von Infrastrukturen oder die Prognose eines nächsten Verkaufserfolgs ist: Die Technologie unterstützt ihre Nutzer bei der Bewältigung der Herausforderungen im Berufsalltag.

Mit der Davis AI werden Riesendatenmengen vorgefiltert und entsprechend reduziert den Nutzern vorgelegt. Etwa bei einem »Alert Storm« bei auftretenden Performanceproblemen einer IT-Anwendung. »Wir werden mehr intelligente Entscheidungssys­teme sehen, die von selbst den gewünschten Zustand von Applikationen sicherstellen und gegebenenfalls wiederherstellen«, ist er überzeugt. Die Gebrauchsanweisungen dazu werden heute bereits maschinenlesbar verfasst. Alois Reitbauer baut nun einen Forschungszweig bei Dynatrace auf, mit betont aktiver Zusammenarbeit auch mit der heimischen Wissenschaft und Entwicklerszene wie etwa am Linz Institute of Technology (LIT) Open Innovation Center. Dafür werden auch intensiv Mitarbeiter gesucht.

Kunden von Dynatrace sind etwa Porsche Informatik und Walmart in den USA, die mit den automatisierten Tools der Linzer ihre Services und Geschäftsprozesse optimieren und absichern – und selbst Erkenntnisse aus der Flut an Log-Daten, Requests und Beobachtungen gewinnen. Die Zukunft viele Unternehmen liegt jedenfalls im Datenbereich. Und ein österreichisches Unternehmen mischt hier aktiv mit.

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