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Smart Living

Smart Living Foto: iStock

Bei der Entwicklung von Konzepten für die Stadt von morgen stand lange Zeit die Machbarkeit smarter Technologien im Vordergrund. Intelligente Lösungen für Energieversorgung, Mobilität und Sicherheit vernetzen sämtliche infrastrukturkritischen Bereiche. Nun rücken der Mensch und die Verbesserung der Lebensqualität verstärkt in den Fokus.

Die Menschen drängen in die Städte. Schätzungen zufolge werden bis 2030 fast 60 % der Weltbevölkerung in Metropolen leben, was die urbane Infrastruktur vor große Herausforderungen stellt. Im Zuge der Digitalisierung bietet sich die Möglichkeit, die städtischen Prozesse zu vernetzen, zu steuern und zu optimieren. Bedarfsgerechte Energieversorgung, flexible Mobilitätskonzepte und smarte Sicherheitslösungen werden unter dem Schlagwort »Smart City« gebündelt.

Die Zukunftsvision einer effizient organisierten und ressourcenschonenden Stadt war zunächst eine Idee, die seit den frühen 2000er-Jahren von Technologiekonzernen vorangetrieben wurde. Zwischen Effizienz und Kontrolle wurden die Bedürfnisse der Bevölkerung kaum gehört. Technische Machbarkeit und ökonomisches Kalkül bestimmten den Erfolg. Der soziale Nutzen so mancher Innovation blieb indessen im Dunkeln.

Dieser einseitige Zugang weicht nun langsam einer integrativen Sichtweise. Nicht zuletzt die Erfahrungen in hochtechnisierten, synthetisch geschaffenen Retortenstädten, die jeglichen Komfort bieten, aber Lebensfreude und gesellschaftliche Identität missen lassen, zeigen deutlich, wie wichtig die Einbindung der Menschen in derartige Projekte ist. Partizipation ist zwar mühseliger, jedoch langfristig der erfolgversprechendere Weg. Transparente E-Government-Lösungen ersetzen nicht nur lästige Amtswege durch digitale Services, sondern suchen auch aktiv den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern.

Planstädte, wie sie etwa in China, Indien oder Südkorea von der Regierung verordnet und verwirklicht wurden, sind für Europa kein taugliches Modell. Statt Smart Cities wie in Asien komplett aus dem brachliegenden Boden zu stampfen, beginnen europäische, historisch gewachsene Städte meist recht unspektakulär im Kleinen – etwa bei autofreien Stadtteilen, energieautarken Wohnanlagen oder E-Votings über geplante kommunale Projekte. Gebündelt haben diese Maßnahmen ein Ziel: die Stadt lebenswerter zu machen.

Intelligente Ökosysteme

Die Klimaerwärmung beschleunigt diese Entwicklung. Die Luftverschmutzung und Überhitzung in Ballungsräumen, die hohen CO2-Emissionen und der steigende Energiebedarf machen intelligent gesteuerte, nachhaltige Lösungen unumgänglich.
40 % des weltweiten Energiebedarfs entfallen auf Gebäude – das Einsparungspotenzial ist enorm. Durch Digitalisierung und Vernetzung ist es möglich, den ökologischen Fußabdruck eines Gebäudes um bis zu 80 % zu verringern.

Gleichzeitig können freie Flächen am Dach und an der Fassade für Photovoltaik genutzt und Überschüsse in das Stromnetz eingespeist werden.

Der Strom fließt künftig in beide Richtungen, vom Netz zu den VerbraucherInnen und umgekehrt. Um den komplexen Energieaustausch unterschiedlicher Quellen zu steuern sowie Über- und Unterkapazitäten auszugleichen, braucht es smarte Technologien. »Verbunden mit dem städtischen Strom-, Gas-, Wasser- und Wärmenetz werden intelligente Gebäude Teil eines intelligenten Ökosystems, in dem alle Teilnehmer wissen, wie man miteinander interagiert«, meint Cedrik Neike, CEO von Siemens Smart Infrastructure: »Dank intelligenter Gebäude wird auch eine Stadt smarter.«

Smarte Technologien kommen bereits in allen kommunalen Prozessen zum Einsatz. Abfall wird automatisch getrennt und aufbereitet, Restwärme zum Heizen und Abwasser zum Kühlen genutzt. Vom effizienten Einsatz der Ressourcen profitieren zunächst die VerbraucherInnen durch niedrigere Betriebskos­ten, letztlich aber die gesamte Umwelt durch die verringerte Schadstoffbelastung.

Ob sich diese Anwendungen durchsetzen, ist nach Ansicht von ExpertInnen keine Frage – sondern vielmehr, wie lange die Umsetzung noch dauert. Die Technologien stehen bereit, viele europäische Kommunen, auch im ländlichen Raum, arbeiten bereits mit Hochdruck an der digitalen Vernetzung ihrer Infrastruktur. »Smart City ist keine Zukunftsvision, es gibt sie längst«, sagt Paulo Ferreira, der als Projektleiter der Robert Bosch GmbH smarte Energie- und Gebäudetechnik in die Planung von Großprojekten integriert.  

Mobilitätsmix

Mit dem starken Bevölkerungszuwachs gewinnt das Thema Mobilität zunehmend an Brisanz. In keinem anderen Bereich ist die Bandbreite der erprobten Modelle größer – eine Lösung, die allen Wünschen und Anforderungen gerecht wird, gibt es freilich nicht.

Einige Trends dürften sich jedoch durchsetzen: E-Mobilität, selbstfahrende Fahrzeuge und intelligente Verkehrssteuerungssysteme, die Staus verhindern und die Parkplatzsuche erleichtern. Konzepte, die den individuellen Autoverkehr zur Gänze aus der (Innen-)Stadt verbannen, sind oftmals umstritten.

Bild oben: Thilo Zelt, Boston Consulting Group: »Wir werden einen grundsätzlichen Wandel in den Typologien der Smart-City-Strategien erleben. Das Modell der ›resilienten Stadt‹ gewinnt an Bedeutung.«

Viele Kommunen setzen auf alternative Angebote: Sind andere Fortbewegungsmittel attraktiver, wird auf das eigene Auto gerne verzichtet.  »Wir stehen kurz vor dem Boom. Der Individualverkehr wird sauber und elektrisch sein«, ist Michael-Viktor Fischer, Geschäftsführer des E-Mobility-Dienstleisters Smatrics, von einem baldigen Durchbruch bei Elektroautos überzeugt. »Man sieht aber auch, dass die Intermodalität steigt, weil es trotzdem günstiger ist, mit der Bahn von Wien nach Salzburg zu fahren.

Wenn ich dann 30 Kilometer weiter muss, löst das Problem der letzten Meile vielleicht das autonome Fahren – ich fahre mit dem Zug und steige dann auf Individualverkehr um.« Ulla Rasmussen, Verkehrs- und Klimaexpertin des Verkehrsclubs Österreich (VCÖ), plädiert dafür, »die Verkehrswende als Konjunkturlokomotive« zu nutzen: »Großstädte haben gute Voraussetzungen, um die klimaneutrale Mobilitätswende voranzutreiben. Auch für die städtische Mobilität ist der Ausbau der erneuerbaren Energiequellen notwendig. Die Erzeugung muss nicht in der Stadt sein, die Stadt soll sich aber darum kümmern.«

Infrastruktur schützen

Beim Thema Sicherheit scheiden sich die Geister. Im Gegensatz zu asiatischen Metropolen, wo die flächendeckende Videoüberwachung von der Bevölkerung weitgehend akzeptiert oder gar begrüßt wird, sind die Vorbehalte hierzulande groß. Wichtige Fragen zu Datenschutz und Persönlichkeitsrechten sind bislang ungelöst.

IT-Konzerne verweisen indessen auf die steigenden Anforderungen zum Schutz der in den Städten lebenden Menschen. So gibt es bereits cloudbasierte Sicherheitssysteme, die über Videoüberwachung gewonnene Daten auswerten. Algorithmen analysieren das Geschehen auf öffentlichen Plätzen und erkennen beispielsweise unbeaufsichtigte Gepäckstücke oder ungewöhnliche Verhaltensmuster von einzelnen Menschen oder Gruppen.

Bild oben: Ulla Rasmussen, Verkehrsclub Österreich: »Die Krise hat viele Schwächen sichtbar gemacht. Parkenden Autos wird mehr Platz eingeräumt als Fußgängern oder Radfahrern.«

Gibt es Anzeichen für Gefährdungen, werden automatisch die Einsatzkräfte informiert. Szenarien wie Terroranschläge oder Überfälle sind der Worst Case in diesem Zusammenhang; alltäglichere Beispiele wären Verkehrsunfälle, verletzte oder plötzlich erkrankte Personen, die rasch Hilfe benötigen.

Doch Sicherheit bedeutet auch, dass kritische Infrastruktur wie die Energieversorgung, Telekommunikation und Krankenhäuser geschützt sind. Laufen alle systemrelevanten Daten in einer Plattform zusammen, können abweichende Werte oder ein drohender Ausfall eines Bereichs frühzeitig erkannt werden.

Neue Normalität

In der Post-Corona-Zeit könnten nun Smart-City-Konzepte eine Neuausrichtung erfahren. Während des Lockdowns im Frühjahr hatte sich gezeigt, dass einige Themen wie Bildung und Gesundheit bisher zu wenig Beachtung fanden. Gerade diese Bereiche müssen aber rasch auf digitale Beine gestellt werden, um soziale Defizite durch die Pandemie nicht weiter zu verschärfen.

Auf den ersten Blick kommt Digitalisierung der Notwendigkeit von sozialer Distanz durchaus entgegen. Bei der Gestaltung virtueller Räume ist jedoch hinsichtlich Interaktion und Atmosphäre noch Luft nach oben. Auch die möglichst kontaktlose Übergabe von Waren ist ausbaufähig – mit berührungsfreien Bezahlsystemen und sprachgesteuerten Bestellmodulen existieren bereits entsprechende Lösungen, sie müssen nur implementiert werden.

Aufgrund der Enge in öffentlichen Verkehrsmitteln besteht aktuell die Gefahr, dass die Menschen wieder stärker in den Individualverkehr ausweichen. Mit zusätzlichen Verleihsystemen kann der Mix alternativer Fortbewegungsmittel aufgewertet werden. Parallel dazu bietet sich die Gelegenheit, neue verkehrsberuhigte Zonen und Pop-up-Radwege einem Praxistest zu unterziehen.

Thilo Zelt, Managing Director und Partner der Boston Consulting Group, erwartet einen grundsätzlichen Wandel in den Typologien der Smart-City-Strategien. Statt Kernthemen wie »lebenswerte Stadt« (Wien), »innovative/digitale Stadt« (Singapur) oder »nachhaltige Stadt« (Kopenhagen) werde in Zukunft das Modell der »resilienten Stadt« an Bedeutung gewinnen, meint Zelt: »Bisher war dieses Modell eher in Schwellenländern vorzufinden. Praktisch alle Smart Cities werden sich jetzt damit beschäftigen müssen, wie eine stärkere Widerstandsfähigkeit bei Krisen und Katastrophen sichergestellt werden kann.«


Dimensionen

1. Governance: Einbeziehung der Bevölkerung in städtische Planungs- und Entscheidungsprozesse durch Open Data und E-Partizipation

2. Nachhaltigkeit: Stadtentwicklung unter Berücksichtigung der Umweltauswirkungen durch Nutzung erneuerbarer Ressourcen; Förderung der regionalen Kreislaufwirtschaft; Abfalltrennung und -aufbereitung; kurze Transportwege

3. Mobilität: Energieeffiziente, emissionsarme und kostengünstige Infrastruktur, die durch intelligente Verkehrssteuerungssysteme optimiert und mit Verleihsystemen (Carsharing, Fahrrad, E-Scooter) ergänzt wird

4. Energie: Hoher Anteil regenerativer Energie durch Gewinnung von Solar- und Windenergie sowie Erdwärme; effiziente Nutzung durch Wärmepumpen und Kühlaggregate in Gebäuden

5. Sicherheit: Engmaschige Überwachung des öffentlichen und privaten Raums durch Kameras, Sensoren und Zutrittssysteme; frühzeitige Erkennung von Unregelmäßigkeiten in der systemrelevanten Infrastruktur

6. Gesundheit: Schneller, unkomplizierter und kostengünstiger Zugang zu Gesundheitsdiensten und Medikamenten; Vernetzung von Daten aus Pflege, Versorgung und Medizin in der elektronischen Krankenakte; Online-Beratung via Telemedizin oder Videosprechstunde

7. Wirtschaft: Wachstum durch Innovation und neue Technologien; Anziehungspunkt für Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Investoren und Arbeitskräfte

Last modified onDonnerstag, 29 Oktober 2020 09:43
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