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»Dämonisierung der Kapitalmärkte hat erfreulicherweise nachgelassen«

(Foto: bereitgestellt) Birgit Kuras: »Ein oder zwei Börsengänge, die das Eis brechen.« (Foto: bereitgestellt) Birgit Kuras: »Ein oder zwei Börsengänge, die das Eis brechen.«

Nach ihrem ersten Jahr als Vorstand der Wiener Börse kann Birgit Kuras eine beachtliche Bilanz vorweisen. Der Leitindex ATX stieg um 28 % und ließ mit dieser Performance alle wichtigen Börsen bis auf den deutschen DAX hinter sich. Von ihren Blütezeiten ist die Wiener Börse aber noch weit entfernt: Das derzeitige Niveau entspricht gerade erst der Hälfte des Allzeithochs vom Juli 2007. Die Börsechefin zeigt sich im Report(+)PLUS-Interview dennoch zuversichtlich, dass der positive Trend anhalten wird – trotz Finanztransaktionssteuer und Zockerimage.

(+) plus: Die Handelsumsätze an der Wiener Börse sind im Zuge der Finanzkrise um 50 Prozent gesunken. Ist die Talfahrt überwunden?
Birgit Kuras: Die Performance im vorigen Jahr war sensationell. Der ATX hat knapp
30 % zugelegt und damit Aktienmärkten wie Großbritannien und USA bei weitem den Rang abgelaufen. Österreichische Aktien werden für Investoren wieder interessanter, das spiegelt sich auch in den Handelsumsätzen wider. Die Aktienumsätze an der Wiener Börse haben im Sommer vorigen Jahres ihren Tiefpunkt überschritten und steigen seither wieder an.

(+) plus: Wird man jemals wieder an das frühere Niveau herankommen? Im Gegensatz zum ATX hat der DAX seinen Höchststand schon fast wieder erreicht. Ist der Standort Wien international nicht konkurrenzfähig?
Kuras: Wenn wir die Entwicklung des ATX und des DAX vergleichen, dann sehen wir, dass der DAX seit Jänner 2002 um rund 50 % zugelegt hat, während der ATX um mehr als 110 % gestiegen ist. Im Zuge der Finanzkrise im Jahr 2008 ist der ATX allerdings auch stärker eingebrochen als der DAX. Kleinere Börsen unterliegen generell stärkeren Schwankungen, im Fall der Wiener Börse war die ursprüngliche Osteuphorie, die dann in eine Ostpanik umschlug, ein Mitauslöser. Sowohl die österreichischen als auch die internationalen Investoren zeigen jedoch wieder großes Interesse an österreichischen Aktien, die Bewertung der gelisteten Unternehmen ist derzeit im internationalen Vergleich sehr günstig und viele österreichische Aktien weisen eine attraktive Dividendenrendite auf.

(+) plus: Die an der Wiener Börse gelis­teten Unternehmen sind stark auf Osteuropa fokussiert. Ist das ein Vorteil oder ein Nachteil?
Kuras: Analyseschätzungen zufolge bleibt Zentral- und Osteuropa die stärkste Wachstumsregion in Europa. Die Wirtschaft wird in CEE kurz- und mittelfristig stärker als in der Eurozone wachsen. Davon wird auch der österreichische Kapitalmarkt profitieren, da mehr als 90 % der ATX-Unternehmen eng mit der CEE-Region verknüpft sind.

(+) plus: Welche Rolle spielt die geplante Finanztransaktionssteuer?
Kuras: Naturgemäß sehen wir jede Form der Besteuerung des Aktien- und Anleihenhandels an Börsen kritisch, weil mit direkten negativen Auswirkungen auf die Realwirtschaft zu rechnen ist. Wenn sich schon eine Gruppe von EU-Staaten um die Einführung einer Finanztransaktionssteuer bemüht, dann muss meiner Ansicht nach gewährleis­tet sein, dass deren konkrete Ausgestaltung die Realwirtschaft möglichst wenig belastet und unerwünschte Finanzmarkteffekte verhindert werden, wie der intransparente, zunehmende außerbörsliche Handel. Die Wiener Börse fordert daher die Finanztransaktionssteuer als Lenkungsinstrument einzusetzen, indem ausschließlich außerbörsliche Transaktionen besteuert werden.

(+) plus: Wie ist diesbezüglich Ihr Draht zur Politik?
Kuras: Ich bin mit Politikern aller Couleurs in konstruktiven Gesprächen und stoße auch durchaus auf Verständnis. Dennoch, der Weg zwischen Verständnis und Unterstützung ist ein breiter …

(+) plus: Viele Anleger sind verunsichert und bleiben lieber in sicheren Investments, obwohl österreichische Aktien gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis sehr niedrig bewertet sind. Ist diese Skepsis berechtigt?
Kuras: Aktien bergen natürlich ein gewisses Risiko in sich, auf der anderen Seite ist alleine die Dividendenrendite deutlich höher als beim Sparbuch. Ich rate Privatanlegern, sich vor jedem Aktieninvestment genau über das Unternehmen zu informieren. Kurzfristig mit Aktien Erfolg zu haben, ist auch  Glücksache. Aber gleichzeitig zeigen die historischen Zeitreihen, dass in der Vergangenheit breit gestreuter Aktienbesitz langfristig keine Frage von Glück oder Pech war, sondern immer eine gute Entscheidung dargestellt hat.

(+) plus: Sie haben in ihrem ersten Jahr als Börsechefin verstärkt den Kontakt zu Unternehmen gesucht, um diese über Börsengänge zu informieren und bei diesem Schritt zu unterstützen. Werden Ihre Bemühungen schon 2013 Früchte tragen?
Kuras: Eine Prognose, ob und wie viele Börsengänge wir 2013 an der Wiener Börse sehen werden, kann ich seriöserweise nicht abgeben. Was wir aber sagen können: Das Marktumfeld hat sich verbessert und das Vertrauen der Unternehmen in die Kapitalmärkte steigt langsam wieder an. Es braucht einen oder zwei Börsengänge oder Kapitalerhöhungen, die das Eis brechen, damit auch andere Börsekandidaten ihre Pläne aus der Schublade holen. Unsere IPO-Workshops, in denen wir Unternehmen über das Thema Börsengang informieren, waren 2012 jedenfalls besonders populär und der Rekord bei den Anmeldungen stimmt uns für die nächs­ten Jahre zuversichtlich.

(+) plus: Seit der Finanzkrise halten die meisten Menschen die Börse für einen Hort der Zocker und Spekulanten. Arbeiten Sie an einer Imagekorrektur?
Kuras: Die Dämonisierung der Kapitalmärkte durch die heimische Politik hat erfreulicherweise nachgelassen, trotzdem ist die Situation nach wie vor schwierig. Von vielen Politikern und anderen Meinungsbildnern wurden Feindbilder bewusst gepflegt. Das hat das Bild in der Öffentlichkeit in den letzten Jahren geprägt. Die volkswirtschaftliche Bedeutung einer Börse wird im öffentlichen Diskurs oft vergessen: Eine Aktie ist eine Beteiligung an einem Unternehmen. Und diese sorgen letztlich für Wachstum und somit für Arbeitsplätze und Wohlstand.

(+) plus: Das Finanzwissen der Bevölkerung ist erschreckend gering. Müsste man nicht schon in den Schulen ansetzen?
Kuras: Die Verankerung von Kapitalmarktbildung bei Schülern und Studenten ist sehr wichtig. Die Wiener Börse ist in diesem Bereich bereits seit Jahren sehr aktiv: Seit 2004 wurden im Rahmen der Kapitalmarktvorträge 56.286 Schüler erreicht. Zu unserem Angebot gehören auch Lehrerseminare, Unterrichtspakete sowie eine eigene Website für Schüler. Dies ist unser Beitrag, um das umfangreiche und komplexe Finanzwissen spielerisch aufzubereiten und der jungen Zielgruppe leichter verständlich zu machen. Angefangen bei Schülern bis hin zu erfahrenen Anlegern bieten wir Weiterbildungsformate, die speziell auf die Bedürfnisse der Zielgruppe abgestimmt sind.

Last modified onDienstag, 29 Januar 2013 11:07
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