Die Harmonisierung im Bauproduktesektor droht im Chaos zu enden. Schuld ist ein offener Machtkampf zwischen der Europäischen Kommission und den Mitgliedsstaaten. Dem Wirtschaftsraum Europa wird damit wieder einmal ein Bärendienst erwiesen.

Die Intention der 1989 veröffentlichten Bauprodukterichtlinie CPD (RL 89/106/EWG) war es, einen Binnenmarkt für Bauprodukte in Europa zu schaffen. Die sogenannten »Handelsbarrieren« sollten abgeschafft werden und der freie Warenverkehr innerhalb der Union forciert werden. Die Europäische Kommission (EK) verfasste zu den verschiedensten Bauprodukten der Richtlinie ergänzende Mandate, um den technischen Arbeitsausschüssen bei CEN (Europäisches Komitee für Normung) den Arbeitsumfang und Anforderungsrahmen vorzugeben. Die Mandate sind also für die tägliche Arbeit in den Technikgremien ganz essenziell und bilden Arbeitsaufträge zur Umsetzung der Bauprodukterichtlinie.

Da die ursprüngliche Bauprodukterichtlinie aber nicht von allen Mitgliedsstaaten (MS) als bindend anerkannt wurde, kam es immer wieder zu unterschiedlichen Interpretationen. Und die Handelsbarrieren bestanden weiterhin, wenngleich in einem weitaus geringeren Ausmaß. Mit dem Ziel, den Binnenmarkt für Bauprodukte endlich zu realisieren, setzte man 2011 die Bauprodukteverordnung CPR (VO 305/2011/EU) in Kraft.

Für die Techniker im Kreis von CEN änderte sich wenig, man orientierte sich ohnehin am Mandat, das den CEN-Gremien zugeordnet war. Spannend wurde die bislang nur eingefleischten Technikfans verständliche Diskussion zur Bauprodukteverordnung erst kürzlich, als die neue Führung der »Construction Unit« der Generaldirektion »Growth« in der EK im Zuge der Beurteilung von überarbeiteten harmonisierten Normen einen negativen Bescheid ausstellte und mittlerweile über 100 überarbeiteten Normen die Veröffentlichung verweigert. Die Verantwortlichen begründen ihren Standpunkt mit einem Urteil des EuGH, über dessen Auslegung EK und MS grundlegend unterschiedlicher Auffassung sind. Dieser offensichtliche Machtkampf hat zum totalen Stillstand bei der Umsetzung der CPR geführt, weshalb man inzwischen sogar die ersatzlose Zurückziehung dieser Verordnung andenkt.

Seit 28 Jahren arbeiten Experten an der Harmonisierung von Produktanforderungen für Europa. Nach 27 Jahren wird die Führungsriege in der EK ausgetauscht und alles ist anders? Wenn nun eine Heerschar von Experten in den Technikgremien frustriert ist, ist das eine Sache. Dass aber Akteure an der Spitze einer EU-Verwaltungseinheit nun walten, wie es ihnen gefällt, ist ein Skandal. Es wird Zeit, den Druck über den Ministerrat zu erhöhen, denn sonst endet die Harmonisierung im Bauproduktesektor im Chaos und bei einer »Mir san mir«-Mentalität. Dem Projekt »Wirtschaftsraum Europa« wird durch Unwissenheit, Eitelkeit und fehlenden Praxisbezug einmal mehr ein Bärendienst erwiesen.